Süddeutsche Zeitung

Kita-Essen:Kleinkinder essen zu viel Fleisch

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Zu wenig Obst, zu wenig Gemüse: Die gelieferte Kita-Verpflegung ist häufig unausgewogen. Warum wird in den Betreuungsstätten kaum mehr selber gekocht?

Von Ulrike Heidenreich, München

Es gibt diese hassenswerten Info-Abende im Kindergarten. Die Eltern kauern auf kleinen, unbequemen Holzstühlen und irgendwann geht es natürlich wieder ums Essen. Stundenlang breiten sich dann manche Mütter und Väter über den korrekten Karottenanteil auf dem Mittagstisch aus, kommen vom guten Bio-Kohlrabi auf die böse Wollwurst - und die Zuhörer möchten ihnen am liebsten über den Mund fahren. Leider aber haben diese Nervensägen recht, denn Kontrolle scheint bitter nötig. In deutschen Kindertagesstätten ist das Essen zu selten ausgewogen. Auf dem Speiseplan stehe zu viel Fleisch und zu wenig Gemüse, geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor.

Vier Euro müsste ein gesundes Essen kosten, doch Eltern zahlen durchschnittlich nur 2,40 Euro

Fast zwei Millionen Kinder essen täglich in der Krippe oder im Kindergarten. Nur in jeder dritten Einrichtung aber steht ein richtig gesundes Mittagsmenü auf dem Tisch. Es mangelt vor allem an Obst: Lediglich in zwölf Prozent der Kitas hatten die Kleinen genügend Auswahl an Apfel, Banane & Co. Ausreichend Salat und Rohkost waren bei nur 19 Prozent im Angebot. Bei der Umfrage quer durch alle Bundesländer in fast 1100 Kindertagesstätten gab gerade mal ein Drittel an, sich an wissenschaftlich begründeten Qualitätsstandards bei der Essensauswahl zu orientieren - etwa jenen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Mindestens vier mal pro 20 Verpflegungstage sollte demnach Seefisch auf dem Speiseplan stehen. Diese Anforderung erfüllen nur 30 Prozent. Stattdessen wird in den Kita-Küchen Fleisch im Übermaß aufgewärmt, gebrutzelt, serviert. Drei Viertel der Einrichtungen setzen mehr als acht Mal pro 20 Tage auf Fleisch als Hauptmahlzeit.

"Gute Ernährung ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung und Bildung in jungen Jahren. Für einen Großteil unserer Kinder aber ist kein gesundheitsförderliches Mittagsangebot gesichert", folgert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Nach dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder ab einem Jahr ist deren Verpflegung ein boomender Markt. Über Mittag bleiben inzwischen 80 Prozent der unter Dreijährigen in der Krippe. Über die Hälfte, nämlich 60 Prozent der Kindergartenkinder ab drei Jahren, werden ebenfalls erst von ihren Eltern abgeholt, nachdem sie gegessen haben. Gerade wegen des rasanten Ausbaus der Kitas hapert es bei der Küchenausstattung oft, hauswirtschaftliches Fachpersonal ist nur in jedem dritten Haus anzutreffen. Lediglich ein Drittel hat außerdem genügend Platz für einen Speiseraum. Häufig essen die Kleinen im Gruppenzimmer.

Den Markt teilen sich zunehmend professionelle Caterer auf. Denn in nur noch 32 Prozent der Kindertagesstätten wird - wegen Personal- und Zeitmangels - alles selbst eingekauft und gekocht. Mehr als die Hälfte lässt sich fertig zubereitetes, warmes Essen anliefern, der Rest bestellt bei Lieferanten, die beispielsweise nach dem "Cook-and-Chill"-System arbeiten. Hier wird die Speise zu 95 Prozent in der Großküche fertig gestellt, schnell abgekühlt, portioniert und erst kurz vor dem Verzehr wieder erhitzt. Weiter gibt es die reine Tiefkühl-Variante, die "Cook-and-freeze"-Methode. Wie überregional das Geschäft mit den Mini-Menüs geworden ist, zeigt das Beispiel München: Hier setzten sich nach einer europaweiten Ausschreibung Firmen aus Österreich und Nordrhein-Westfalen durch, die an städtische Kindergärten und Horte an der Isar liefern dürfen, Tiefkühlkost natürlich.

Verbindliche Auflagung für die Verpflegung fehlen

Viele Caterer seien zu wenig auf kindgerechte Verpflegung ausgerichtet, kritisiert die Studie aber. "Ich kann nicht Erwachsenen-Essen nehmen, eine kleinere Portion machen und das den Kindern hinstellen", so Dräger. Gutes, gesundes Essen ist außerdem eine Frage des Geldes. Im Schnitt zahlen Eltern 2,40 Euro für ein Mittagessen ihrer Kinder. Weil es keinerlei verbindliche Regelungen für die Lebensmittelkosten in Kitas gibt, ist die Spanne sehr groß: Sie reicht von 75 Cent bis sechs Euro pro Mahlzeit. Laut der DGE-Standards müsste ein ausgewogenes Mittagessen für Kinder mindestens vier Euro kosten, um hochwertige und möglichst biologisch angebaute Zutaten in den Topf werfen zu können.

Ein bundesweites Gesetz, das die Qualität von Kindertagesstätten sichert, steht noch aus. Ebenso wichtig wie die Anzahl der Erzieherinnen oder die Festlegung von Raumgrößen seien verbindliche Auflagen für die Verpflegung. Das fordert Ulrike Arens-Azevêdo, Ernährungswissenschaftlerin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, und eine von drei Autorinnen der Studie. Weil auch bei Kindern das Auge mitisst, hatten sie sich auch die Gestaltung der Speisepläne angesehen. Die waren meist recht hübsch mit bunten Bildern illustriert. Angetan waren die Expertinnen von besonders phantasievollen Bezeichnungen wie der "Trollmurmelsuppe". Bei der Zusammenstellung der Speisen gab ein Großteil der Kitas an, Allergien und religiöse Hintergründe der Kinder zu berücksichtigen. Der gute Wille ist da, nicht aber die Umsetzung: Allergene waren auf den Speiseplänen nur selten ausgewiesen (sieben Prozent). Und der Hinweis auf die Tierart bei den üblichen Fleischmenüs fehlte bei drei Vierteln.

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SZ vom 03.06.2014
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