Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Fett essen oder fett werden?

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Die Atkins-Diät teilt die Ernährungswissenschaftler in zwei Lager

Christina Berndt

Was, wenn das alles eine dicke, fette Lüge war? Wenn das akribische Kalorienzählen gar nicht zum Abnehmen taugt, wenn das bisherige, magere Leben nicht nur relativ geschmacklos, sondern auch noch sinnlos war? Das fragte sich im Juli 2002 nicht nur die "New York Times" und mit ihr halb Amerika, das fragen sich inzwischen auch immer mehr Deutsche. Und es mehren sich die Hinweise, dass sie sich diese Frage zu Recht stellen. Denn Fett macht offenbar gar nicht so fett, wie das Ernährungsexperten jahrzehntelang predigten. Der Feind der guten Figur könnte ganz anders aussehen.

Wäre es nach Robert Atkins gegangen, würde bereits seit 30 Jahren niemand mehr den Speck aus seinem Frühstücksschinken sezieren und Sahne durch Magermilch ersetzen. Schon 1972 hatte der amerikanische Kardiologe mit einem Buch die "Diät-Revolution" ausgerufen. Dicke Steaks mit Kräuterbutter und Fisch mit Sahnesauce waren die Grundlage seiner Abnehmtipps. Die Butter aufs Brot zu kratzen kann man sich ersparen, wenn man die Ratschläge des Doktor Atkins beherzigt. Allerdings gibt es dann auch gar kein Brot mehr dazu. Denn Backwaren sind ebenso wie Nudeln, Kartoffeln, Reis und Süßigkeiten tabu während einer Atkins-Diät. Die darin enthaltenen Kohlenhydrate nämlich seien es, die dick machten, predigte der Arzt unaufhörlich und machte sich dabei die Gesamtheit der Ernährungswissenschaftler zum Feind. Die nämlich empfahlen das genaue Gegenteil: Kohlenhydrate seien die Basis der Ernährung und sollten deren Löwenanteil ausmachen, heißt es in allen gängigen Ernährungsratgebern; der Fettanteil der Nahrung sollte dagegen unter 30 Prozent liegen. Doktor Atkins galt als Gefahr für die Volksgesundheit, sogar vor dem US-Kongress musste er sich für seine Ernährungsratschläge verteidigen. Und tatsächlich setzten sich die Fettfeinde zunächst durch.

Ihre Erklärung war einfach zu simpel, um nicht überzeugend zu sein: Schließlich enthält jedes Gramm Fett neun Kalorien. Kohlenhydrate und Eiweiße hingegen schlagen dagegen nur mit vier Kalorien pro Gramm zu Buche. Da klang es logisch, dass Sparen beim Fett am effektivsten sein sollte. Über 15.000 fettarme oder fettfreie Produkte eroberten seither die Supermärkte - vor allem in den USA. Sogar auf Mineralwasserflaschen prangte im diätbegeisterten Amerika die Aufschrift "No Fat". Aber auch in Deutschland schafften es die Magermeister, den durchschnittlichen Fettanteil in der Nahrung von 40 Prozent Mitte der Achtzigerjahre auf heute 33 Prozent zu senken. Doch zugleich mussten sie einräumen, dass ihre Anti-Fett-Strategie gegen das Fett auf den Rippen nicht gerade wirksam war: Im selben Zeitraum wurden die Deutschen dicker und dicker. Jeder zweite Erwachsene und jeder vierte Jugendliche gelten heute als übergewichtig.

"Die Fettsparempfehlungen waren nicht nur wirkungslos, sie haben die dicken Gesellschaften sogar vorangetrieben", glaubt Walter Willett von der Harvard School of Public Health in Cambridge. Es ist vor allem ihm zu verdanken, dass Robert Atkins mit seinen ungewöhnlichen Diät-Empfehlungen doch noch späte Genugtuung zuteil wurde. Seit kurzem sind Atkins' Bücher Bestseller, in den USA ernähren sich Schätzungen zufolge bereits mehrere Millionen Menschen nach seinen Vorschlägen oder abgewandelten Diäten

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