Süddeutsche Zeitung

Ernährung:Dicke Kinder am Mittelmeer

Lesezeit: 2 min

Von Berit Uhlmann

Es ist eine der simplen wie schmerzlichen Erkenntnisse all derer, die sich mit öffentlicher Gesundheit beschäftigen: Das bloße Vorhandensein günstiger Optionen genügt nicht. Sie müssen auch genutzt werden, was gerade beim Thema Essen extrem schwer ist. So kommt eine aktuelle Analyse im Fachblatt Jama Pediatrics zu dem Schluss, dass Europas dickste Kinder ausgerechnet in der Heimat der viel gepriesenen mediterranen Kost leben. Das eher als Wurst-und-Schokolade-Hochburg geltende Mitteleuropa kann dagegen tendenziell schlankere Zwei- bis 13-Jährige vorweisen.

In der Mittelmeerregion sind 30 Prozent der Kinder übergewichtig. Jeder zehnte Heranwachsende ist krankhaft fettleibig und hat damit ein hohes Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden, psychische Probleme und weitere Erkrankungen. Im europaweiten Durchschnitt sind dagegen 21 Prozent der Kinder übergewichtig und sechs Prozent fettleibig.

Die Forscher um Miriam Garrido-Miguel von der spanischen Universidad de Castilla-La Mancha wollen die Erkenntnisse dennoch nicht als Argument gegen die mediterrane Ernährung verstanden wissen. Sie verweisen darauf, dass der traditionelle Speiseplan mit viel Obst, Gemüse, Nüssen und Fisch für Kinder offenbar immer seltener gilt. In Italien ernähren sich nur noch fünf Prozent der Kids strikt nach den Regeln der klassischen Küche, ergab beispielsweise eine Studie von 2014. Die Mehrheit aß regelmäßig Süßigkeiten und industriell hergestelltes Gebäck.

Offenbar, so vermuten die Forscher der aktuellen Analyse, schlägt wirtschaftliche Not die Tradition. Griechenland, Zypern, Malta, Italien und Spanien waren besonders von der Finanzkrise 2007 betroffen. Zwischen 2005 und 2010 nahm der Anteil der armutsgefährdeten Kinder in der Region von 21 auf 24 Prozent zu. Elf Prozent lebten 2010 bei arbeitslosen Eltern - ein Anstieg um sieben Prozentpunkte. Es ist bekannt, dass Armut häufiger mit ungünstiger Ernährung und Bewegungsmangel einhergeht. So sind auch in Deutschland Mädchen und Jungen aus sozial schwächeren Familien viermal so häufig fettleibig wie Gleichaltrige aus Familien mit hohen Einkommen.

Für Deutschland gibt die Studie Raten für die Altersgruppe der Sieben- bis 13-Jährigen an: Demnach sind 19 Prozent übergewichtig und fünf Prozent fettleibig. Wie auf dem Kontinent insgesamt stagnieren diese Zahlen auch in der Bundesrepublik. Dass das Übergewicht nicht noch weiter um sich greift und in manchen Ländern sogar sinkt, führen die Wissenschaftler auf ein gesteigertes Bewusstsein für die Gefahren der überzähligen Pfunde sowie auf mehr Ernährungs- und Bewegungsförderung im Alltag vieler Kinder zurück. Sie mahnen dazu, mit diesen Anstrengungen keinesfalls nachzulassen.

Für ihre Erhebung hat das Team mehr als 100 Studien mit Daten aus 28 europäischen Ländern ausgewertet. Allerdings sind die Zahlen lückenhaft und teilweise mit großen Unsicherheiten behaftet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4553749
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.