Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Symbol der Seuche

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Von Berit Uhlmann

Wenn am Mittwoch die Fußballer der asiatischen Champions League im südkoreanischen Jeonju auflaufen, werden sie sich einer ungewöhnlichen Kulisse gegenübersehen: ein ganzes Stadion voller verhüllter Gesichter. Der Veranstalter hat vorgeschrieben, dass alle Besucher Gesichtsmasken tragen müssen, um die Ausbreitung des neuen Coronavirus zu bremsen. Dies ist nur ein Beispiel für eine Praxis, die Experten derzeit Sorgen bereitet.

Der globale Bedarf an Masken und anderer Schutzausrüstung sei nicht mehr gedeckt, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Nachfrage übersteige das normale Maß um das Hundertfache; die Preise lägen 20-mal so hoch wie üblich. Schon jetzt seien die Lager leer, es käme zu Lieferverzögerungen von vier bis sechs Monaten, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus im Rahmen seiner täglichen Briefings zum Thema Coronavirus. Er appellierte an die Weltöffentlichkeit, Schutzmittel jenen zu überlassen, die sie am dringendsten brauchen: Ärzte, Pflegekräfte, Wissenschaftler, Erkrankte und ihre Angehörigen. Zugleich betont die WHO, der Effekt simpler Papier- und Stoffmasken sei eher ungewiss.

Der Mundschutz fängt einen Teil der Tröpfchen auf, die Menschen beim Sprechen, Husten und Niesen in die Umgebung schleudern. Er erhöht so die Chance, dass Umstehende vor einer Ansteckung bewahrt werden. Weniger sicher ist, ob die Masken ihre Träger auch vor einer Infektion schützen können. Die Wirksamkeit hängt von vielen Faktoren ab, der Tröpfchengröße, wie gut die Masken sitzen, ob sie Menschen davon abhalten, sich mit potenziell kontaminierten Händen ins Gesicht zu fassen, oder im Gegenteil die Finger dazu verleiten, permanent über die Haut zu fahren, um den Sitze der Maske zu kontrollieren. Besonders zweifelhaft aber ist der Mundschutz, wenn die Wahrscheinlichkeit, auf Infizierte zu treffen, gering ist - was derzeit an den meisten öffentlichen Plätzen außerhalb Chinas der Fall ist.

Und doch dürfte der Ruf nach Mäßigung weitgehend verhallen. Für jene, die jetzt Masken horten, geht es nicht nur um irrationale Furcht oder wirtschaftlich profitable Spekulationen, sondern vielerorts auch um eine lange und komplexe Tradition.

Das gilt vor allem für Japan, wo die Maske auch in seuchenfreien Zeiten längst ein Bestandteil des öffentlichen Lebens ist. Erstmals tauchten verhüllte Gesichter 1918 während der Spanischen Grippe im Straßenbild auf. Etliche weitere Influenza-Epidemien manifestierten die Praxis, später wurde der Mundschutz auch gegen Pollen und Feinstaub verwendet und die Tragezeit in den Sommer hinein verlängert.

Ihre größte Konjunktur erlebten die Masken in Japan während der Schweinegrippe 2009, schrieben die Sozialwissenschaftler Adam Burgess und Mitsutoshi Horii vor einigen Jahren im Fachblatt Sociology of Health and Illness. Damals trat am Ort der ersten Infektionen, einer Schule, der Direktor mit Maske vor die TV-Kameras. Kurz darauf murmelten auch die Fernsehreporter ihre Berichte aus dem Mundschutz heraus. Nur einen Tag später wies die Eisenbahngesellschaft des Landes ihre Angestellten an, das Hygieneprodukt zu verwenden, Restaurants und Banken zogen nach. Schließlich verlangten immer mehr Firmen von ihren Angestellten, Masken zu tragen.

"Es fühlt sich an, als würde ich ersticken, eine Mikrobenkultur klebt an mir"

Die Japaner benutzten sie nicht allein aufgrund ihres Gesundheitsbewusstseins oder tradierter Höflichkeit, sondern auch als ein Signal des Gehorsams. "Meine Firma zwingt jeden, die Masken zu tragen", zitieren die Autoren einen Angestellten: "Es fühlt sich an, als würde ich ersticken, die ganze Zeit klebt eine Mikrobenkultur an meinem Gesicht, die ich durch meinen Atem warm und feucht halte. Natürlich hasse ich sie, sehr sogar." Dennoch zieht er sich das Produkt Tag für Tag über den Kopf.

Werbespots zielten ebenfalls auf das Pflichtgefühl der Angestellten ab und zeigten bevorzugt Berufstätige mit penibel verhüllten Atemwegen. Die Botschaft: Der gute japanische Arbeiter trägt Maske. Nachdem sie einmal in großem Stil eingeführt war, wurde die Gesichtsmaske zu einer Art Accessoire, das man trägt, weil die anderen es tun, bisweilen auch aus profanen Gründen. Japanerinnen berichteten den beiden Forschern, dass sie mit dem Gesichtsschutz manchmal auch nur das fehlende Make-up verbergen oder sich vor Sonne verhüllen wollen. Doch mehr als die Hälfte der 120 Befragten erklärten im Jahr 2011, die Masken zu tragen, weil es ihnen aufgetragen wurde. Am häufigsten hatten Vorgesetzte die Praxis angemahnt, seltener Ärzte und Eltern.

In anderen asiatischen Ländern wurden die Motive der Maskenträger weniger intensiv erforscht. Aber Befragungen in Hongkong sprechen ebenfalls für einen hohen sozialen Druck. Während der Sars-Epidemie im Jahr 2003 waren die verhüllten Gesichter weit verbreitet. Die Masken sollten nicht nur vor dem Virus schützen, legten Studien nahe, sie dienten auch als weithin sichtbare Absichtserklärung, verantwortlich zu handeln.

Selbst Profi-Masken tauchen mittlerweile im Straßenbild auf

Unklar bleibt, wie sehr die Maskenträger vom Nutzen der Schutzmaßnahme überzeugt waren und sind. Sicher ist: Wer seine Atemwege zuverlässig abschotten will, muss aufwendigere Masken tragen, die nicht nur eine physische Barriere bilden, sondern Partikel aktiv filtern. Solche Atemschutzmasken werden gewöhnlich im professionellen Umfeld eingesetzt, in Betrieben, in Laboren oder Kliniken. Entscheidend für ihren Erfolg ist der optimale Sitz; trivial ist die Anpassung nicht. Von "Filterdurchlass" und "Verpassungsleckage" ist in Bedienungsanleitungen die Rede, vom schlechten "Dichtsitz" bei Bartträgern. Zudem fühlen sich Menschen unter diesen Masken noch weniger wohl, als unter den Papierversionen. Dennoch werden auch diese Profi-Masken bereits in den Straßen gesichtet. Michael Ryan, Notfallkoordinator der WHO, kommentierte; wenn der normale Verbrauchermarkt mit den professionellen Masken überschwemmt wird, und sie gleichzeitig Ärzten und Pflegekräften fehlen, "dann gibt es ein Problem".

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SZ vom 12.02.2020
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