Süddeutsche Zeitung

Covid-19:"Es wird wirklich eng werden in den Krankenhäusern"

Lesezeit: 2 min

Mediziner warnen, dass es schon bald nicht mehr genug freie Intensivbetten für Corona-Patienten geben könnte. Dann stellt sich die Frage: Welche Kranken sollen Ärzte behandeln?

Von Christina Berndt und Elisabeth Dostert, München

Kurz vor Heiligabend steht Deutschland zwischen Hoffen und Bangen in der Pandemie. Während der frisch zugelassene Covid-19-Impfstoff der Mainzer Firma Biontech kurz vor der Auslieferung steht und sich zugleich eine neue, offenbar besonders ansteckende Variante des Coronavirus in England immer weiter ausbreitet, machten am Dienstag Deutschlands Intensivmediziner auf die zunehmend besorgniserregende Situation in ihren Kliniken aufmerksam.

Mittlerweile müssten 5216 Patienten intensivmedizinisch behandelt werden - und diese Zahl wachse weiter an, sagte Christian Karagiannidis während einer Pressekonferenz der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (Divi). Versorgt werden könnten noch weitere 3500 Intensivpatienten, doch die Zahl belegbarer Betten falle stetig, auch weil es zunehmend an Personal fehle. "Es wird wirklich eng werden in den Krankenhäusern", sagte Karagiannidis. In manchen Regionen seien die Intensivstationen mittlerweile so überlastet, dass Patienten in andere Bundesländer verlegt werden müssten. So hätten bereits Ende der vergangenen Woche Berliner Kliniken rund 51 Patienten aus Brandenburg aufgenommen. Und aus Sachsen seien 30 Patienten nach Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern verlegt worden.

In den kommenden Tagen werde sich die Situation weiter verschärfen, sagte Divi-Präsident Uwe Janssens. Bald sei die Enscheidung darüber, welche Patienten leben dürfen und welche sterben müssen, die sogenannte Triage, im Einzelfall womöglich nicht mehr zu umgehen. Die Ärzte fühlten sich dabei allein gelassen, so Janssens. "Es sollte jetzt auch Aufgabe des Staates sein, um Ärzte davor zu bewahren", so Janssens, es gehe schließlich um die Verteilung von Lebenschancen, doch entsprechende Maßnahmen des Gesetzgebers fehlten.

Immerhin dürfte sich die ohnehin schwierige Situation durch die neue Variante von Sars-CoV-2, die derzeit in England grassiert, akut nicht verschärfen. Der mutierte Erreger, der unter den Namen B.1.1.7 oder VUI-202012/01 firmiert, scheint zwar deutlich ansteckender zu sein als die bislang gängige Variante und dürfte auch schon in Deutschland angekommen sein, sagte der Berliner Virologe Christian Drosten. Aber angesichts des Lockdowns dürfte er derzeit "hierzulande eher schwer Fuß fassen". Drosten betonte noch einmal, dass B.1.1.7 nach derzeitigem Kenntnisstand nicht die Schwere der Erkrankung zu beeinflussen scheine. "Das ist ganz wichtig für die Bevölkerung, die sich jetzt Sorgen macht", sagte er.

Auch auf die Wirksamkeit von Impfungen dürfte B.1.1.7 wohl keinen Einfluss haben, sagte der Mitgründer und Vorstandschef von Biontech, Ugur Sahin. "Im Moment sehen wir keinen Grund, den Impfstoff anzupassen", sagte er während einer Online-Pressekonferenz. Das Vakzin hätte bei anderen Mutationen bisher Bestand gehabt. Seine Firma überprüfe aber, ob eine Anpassung des Impfstoffs nötig sein werde. Mit Ergebnissen entsprechender Tests rechne er in zwei Wochen.

Schon an diesem Mittwoch wird Biontech mit der Auslieferung seines Impfstoffes in EU-Länder und damit auch an deutsche Verteilzentren beginnen. Mit einer schnellen Rückkehr zur "Normalität" rechnet Sahin trotz des Erfolgs nicht. "Wir müssen Normalität neu definieren", sagte er: "Das Virus bleibt uns in den nächsten zehn Jahren erhalten. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es Infektionen und kleine Ausbrüche immer und immer wieder geben wird." Eine Normalität in dem Sinne, dass kein Shutdown nötig sei, könnte aber dank der Impfungen vom Ende des Sommers an erreicht werden. "Wir müssen sicherstellen, dass der nächste Winter quasi-normal wird", sagt Sahin. In diesem Winter, da macht Sahin keine Hoffnungen, wird nichts normal sein.

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