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Brustentfernung von Angelina Jolie:Radikaler Schnitt

Lesezeit: 4 min

Angelina Jolie hat sich die Brüste entfernen lassen, um ihr Krebsrisiko zu senken. Dieser Schritt ist gar nicht so selten wie Laien glauben. Auch in Deutschland entscheiden sich Frauen für diese drastische Art der Vorsorge. Wie sinnvoll ist die Operation? Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Brustentfernung und -rekonstruktion.

Von Markus C. Schulte von Drach und Berit Uhlmann

Diese Nachricht überraschte die Welt: Schauspielerin Angelina Jolie ließ sich die Brüste vorsorglich entfernen, um ihr Krebsrisiko zu mindern. Über die Entscheidung zu dem Eingriff berichtet sie sehr offen in der New York Times. Was viele Laien irritiert, ist für Mediziner nachvollziehbar. Auch in Deutschland wird die Mastektomie vorsorglich durchgeführt. Antworten auf die wichtigsten Fragen zu den Voraussetzungen, zum Vorgehen und Nutzen der Brustentfernung.

Wie stark ist die erbliche Komponente bei Brustkrebs?

Etwa fünf bis zehn Prozent aller Brustkrebspatientinnen haben ein ererbtes Risiko für die Krankheit.

Wie wird dieses Risiko festgestellt?

Einen Anhaltspunkt erhalten Patientinnen zunächst, wenn unter ihren Angehörigen mehrere an Brustkrebs erkranken. Von solch einem familiären Risiko sprechen Ärzte beispielsweise wenn drei Frauen innerhalb einer Familie Brustkrebs bekamen, oder wenn bei einer Angehörigen schon vor dem 36. Lebensjahr ein Mammakarzinom diagnostiziert wurde. Frauen aus solchen Familien können auf Kosten der Krankenkasse einen Gentest vornehmen lassen. Der Gesetzgeber sieht aber ausdrücklich ein Recht auf Nichtwissen vor. Niemand muss einen solchen Test absolvieren.

Wie läuft so ein Test ab?

Voraussetzung ist ein umfassendes Aufklärungsgespräch. Für den Test muss eine Blutprobe abgegeben werden. Die Auswertung der Probe dauert in der Regel drei bis vier Wochen, kann aber auch beschleunigt werden: "Ist bei einem Familienmitglied bereits eine Mutation in einem 'Brustkrebsgen' festgestellt worden, suchen wir bei der Patientin gezielt nach dieser Mutation, um festzustellen, ob die Patientin sie geerbt hat", sagt Susanne Morlot, Humangenetikerin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dies ist innerhalb weniger Tage möglich. "Gibt es keine Genbefunde in der Familie, suchen wir in der Regel nach Mutationen in zwei bis vier Genen, je nach Familienvorgeschichte und Vorbefunden. Dieses Vorgehen ist aufwändiger und dauert meist zwei bis drei Wochen", erläutert die Oberärztin.

Wie zuverlässig ist so ein Test?

"Frauen, mit einer Mutation in einem der Risikogene, haben - je nach verändertem Gen - ein Risiko von bis zu 80 Prozent, im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom zu erkranken. Das Risiko für Eierstockkrebs wird - je nach verändertem Gen - auf bis zu 40 bis 60 Prozent beziffert", sagt Susanne Morlot: "Das heißt aber auch, dass einige Frauen trotz der vorliegenden genetischen Veränderung keinen Brust- oder Eierstockkrebs entwickeln." Warum einige Frauen erkranken und andere Frauen gesund bleiben, ist bis heute noch nicht geklärt.

Umgekehrt gibt es auch keine vollkommene Sicherheit für Frauen mit einem negativen Gentest. In etwa der Hälfte der Familien mit hohem Risiko kann keine Veränderung in den vier Genen nachgewiesen werden. Wahrscheinlich sind in diesen Familien das Zusammenwirken unterschiedlicher Gene verantwortlich. Oder es gibt Mutationen in noch gar nicht entdeckten Genen, erläutert die Fachärztin.

Was wird Frauen in Deutschland bei positivem Gentest empfohlen?

Die Fachgesellschaften empfehlen in erster Linie an intensiven Früherkennungsprogrammen in spezialisierten Zentren teilzunehmen. Dazu gehört eine jährliche Mammografie und Kernspintomografie bei Frauen ab 30 Jahren, um Brustkrebs möglichst schon im Frühstadium zu erkennen. Es ist auch möglich, vorbeugend Medikamente wie Tamoxifen gegeben. Der Nutzen ist jedoch nicht ganz klar. Die Leitlinien, nach denen Ärzte sich richten, sehen auch die Mastektomie als eine Option vor. Die Entscheidung dafür oder dagegen obliegt alein der Patientin.

Wie häufig ist die prophylaktische Mastektomie in Deutschland?

Es gibt keine konkreten Zahlen dazu. Etwa 55.000 bis 60.000 Frauen erkranken jährlich an Brustkrebs. Etwa fünf Prozent der Fälle gehen auf die bekannten Mutationen zurück. Demnach sind etwa 2750 bis 3000 Frauen betroffen. Von denen, die ihr Risiko kennen und Maßnahmen treffen, lassen sich immer mehr Frauen vorsorglich das Brustdrüsengewebe entfernen. Derzeit liegen die Zahlen in einer Größenordnung von 20 bis 25 Prozent. Experten schätzen, dass sich in den Niederlanden und Großbritannien bis zu 50 Prozent der Betroffenen die Brust vorsorglich entfernen lassen, in den USA sind es mindestens genauso viele.

Wann wird operiert?

Meist wird im Alter ab 25 Jahren das Brustdrüsengewebe entfernt, empfohlen wird der Eingriff noch vor dem 40. Lebensjahr.

Was geschieht bei der Operation?

Die Technik, die Brust sofort wieder aufzubauen, hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, erläutert Stefan Krämer, Frauenarzt und Leiter des Brustzentrums am Universitätsklinikum Köln. In der Regel wird das Brustdrüsengewebe entfernt, während die Haut und die Brustwarze erhalten bleiben. Der Hohlraum wird entweder mit einem Silikonimplantat gefüllt oder mit Eigengewebe. Dabei handelt es sich meist um Fettgewebe aus der Bauchdecke.

Sind die Silikonimplantate sicher?

Die Produkte erhöhen das Brustkrebsrisiko offenbar nicht. Es kann jedoch zu Komplikationen kommen. So besteht die Gefahr, dass sich die Form des Silikonkissens verändert oder dass das Silikon ausläuft, was zu Schmerzen führen kann. Jede fünfte bis zehnte Frau muss mit einer Kapselfibrose rechnen - einer Verhärtung des Gewebes um das Implantat, die schmerzhaft sein kann. Die Frauen müssen davon ausgehen, dass die Implantate nach einigen Jahren ausgetauscht werden müssen.

Wer zahlt den Eingriff?

Trägt die Betroffene eines der Gene, so übernehmen die Kassen auch die prophylaktische Brustentfernung und die Wiederherstellung der Brust.

Wie stark senkt die Brustentfernung das Brustkrebsrisiko?

Experten gehen davon aus, dass sich das Risiko um mindestens 95 Prozent senken lässt.

Hat die Brustentfernung Vorteile gegenüber der intensiven Früherkennung?

Mediziner der Stanford University in den USA haben 2010 eine Studie veröffentlicht, in der sie berechnet haben, wie eine jährliche Mammografie- und MRI-Untersuchungen sich im Vergleich zur Brust- und Eierstockentfernung auf das Überleben der Frauen mit den Brustkrebsgenen auswirkt. Eine Mastektomie mit 25 und eine spätere Eierstockentfernung verbessern den Ärzten zufolge das Überleben deutlich - die Früherkennung scheint ihnen zufolge jedoch ähnlich effektiv zu sein. Andere Experten betrachten diese Berechnungen mit Skepsis. Wird der Brustkrebs durch das Screening entdeckt, wird er meist mit Chemotherapie bekämpft. Die Prognose dürfte Stefan Krämer zufolge aber schlechter sein als bei einer Brustentfernung - selbst wenn der Krebs früh erkannt wurde.

Werden auch die Eierstöcke entfernt?

In Deutschland wird Frauen mit positiven Brustkrebs-Gentest auch die operative Entfernung von Eierstöcken und Eileitern empfohlen. Sie sollten allerdings mindestens 40 Jahre alt sein und ihre Familienplanung abgeschlossen haben. "Tatsächlich kommt die Entfernung der Eierstöcke häufiger vor als die Mastektomie", sagt Susanne Morlot. Grund ist, dass Eierstockkrebs im Frühstadium schwer zu entdecken ist und es deshalb keine geeigneten Früherkennungsuntersuchungen gibt. Werden Eierstöcke und Eileiter entfernt, sinkt das Risiko für Eierstockkrebs nach Angaben der Ärztin auf unter zwei Prozent. Gleichzeitig kann allein durch diesen Eingriff das Brustkrebs-Risiko um etwa 50 Prozent reduziert werden.

Was ist von Angelina Jolies Empfehlung für betroffene Frauen, es ihr gleichzutun, zu halten?

Vor dem Hintergrund der neuen Möglichkeiten, eine Brust zu rekonstruieren, hält Stefan Krämer vom Brustzentrum der Uniklinik Köln die Empfehlung der Schauspielerin für richtig. Frauen sollten sich aber nicht sofort entscheiden, sondern immer erst nach ausführlichen Beratungsgesprächen mit Genetikern, Psychoonkologen und Chirurgen.

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