Süddeutsche Zeitung

Bronchitis:Falsche Antibiotika

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In 70 Prozent aller Bronchitis-Fälle verordnen US-Ärzte Antibiotika - obwohl sie nichts gegen die Krankheit ausrichten können. In Deutschland dürfte die Situation ähnlich sein.

Von Werner Bartens

Es ist der Klassiker in der gymnasialen Oberstufe und im Medizinstudium. Wer es dann noch nicht kapiert hat, bekommt es in der Ärztefortbildung zu hören: Antibiotika helfen nur gegen Bakterien, gegen Viren sind sie machtlos. Da aber fast alle banalen Atemwegsinfekte von Viren ausgelöst werden, bringt es nichts, Patienten mit akuter Bronchitis oder anderen Erkältungsleiden die Medikamente zu geben. Im Gegenteil: Neben akuten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall und Unverträglichkeit drohen Resistenzen. Zudem ist die Umweltbelastung erheblich, da einige der Mittel nur langsam abgebaut werden.

Die Warnungen werden seit Jahrzehnten wiederholt - und es ändert sich rein gar nichts

Die beiden Harvard-Mediziner Michael Barnett und Jeffrey Linder haben untersucht, wie oft in den USA Antibiotika gegen akute Bronchitis verordnet werden. Im Journal of the American Medical Association kommen die beiden Allgemeinmediziner zu dem ernüchternden Ergebnis, dass von 1996 bis 2010 gleichbleibend oft Antibiotika verschrieben wurden, Tendenz steigend (Bd. 311, S. 2020, 2014).

"Obwohl es klare Beweise dafür gibt, dass sie unwirksam sind, obwohl die Richtlinien davon abraten und obwohl wir seit zwei Jahrzehnten unsere Fortbildung darauf ausrichten, dass die Antibiotika-Verordnung bei akuter Bronchitis null sein sollte, betrug die Häufigkeit in den vergangenen 15 Jahren ungefähr 70 Prozent und stieg in dieser Zeit sogar an", sagt Barnett.

In Deutschland ist die Situation ähnlich - außer dass die Datenbasis nicht so gründlich aufgearbeitet wird wie in den USA. Nach jüngeren Untersuchungen geben Ärzte hierzulande in 50 bis 75 Prozent der Fälle Antibiotika gegen banale Erkältungsleiden, obwohl damit Patienten nicht geholfen, sondern geschadet wird.

Argumente dagegen kann man überall finden: Die Initiative "Choosing Wisely", die verständlich für Ärzte wie Patienten gegen überflüssige Medizin zu Felde zieht, erklärt, dass und warum Antibiotika gegen akute Bronchitis nichts ausrichten ( choosingwisely.org). Und in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin wird dargelegt, dass bei Bronchitis und bis zu acht Wochen andauerndem Husten die Medikamente zu vermeiden sind ( degam.de). Erst wenn eine Lungenentzündung vorliegt, sind Antibiotika wichtig und hilfreich.

Weil die Warnungen seit Jahrzehnten ständig wiederholt werden, ist sogar den nüchternen Texten der Leitlinien und Artikel Unverständnis darüber anzumerken, warum sich an dem Verschreibungsverhalten nichts ändert - nein, auch eine Superinfektion in Folge der Bronchitis wird durch Antibiotika nicht gelindert.

Der Arzneiverordnungsreport 2013 vermerkt, dass im Vergleich zum Vorjahr wiederum 6,4 Prozent mehr Antibiotika verordnet wurden und im ambulanten Bereich Atemwegsinfektionen weiterhin Hauptgrund für eine Verschreibung bleiben. Lapidar merken die Autoren an: "Der Hinweis, dass im Unterschied zur Lungenentzündung akute obere Atemwegsinfektionen, vor allem die akute Bronchitis, in mehr als 90 Prozent der Fälle durch Viren ausgelöst werden und daher keine primäre Indikation für Antibiotika darstellen, bleibt wichtig und ist in aktuellen Studien nochmals bestätigt worden."

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Quelle:
SZ vom 21.05.2014
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