Süddeutsche Zeitung

Studium:Elite-Professorin demütigt Doktoranden

Lesezeit: 2 min

Von Charlotte Theile, Zürich

Wenn eine Institution wie die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich einen Lehrstuhl schließt und die zuständigen Professoren in ein Sabbatical schickt, muss einiges schiefgelaufen sein.

Doch Gabriela M., die 2002 gemeinsam mit ihrem Mann Paul F. (beide Namen geändert) nach Zürich kam und als Professorin am 2002 gegründeten Lehrstuhl für Astronomie lehrte, soll Doktoranden über Jahre derart schikaniert haben, dass die Universität keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat. Das hatte die NZZ am Sonntag berichtet.

Konkret geht es um Meetings, die bis weit nach Mitternacht gingen - und zum Beispiel die Körpersprache und das Make-up der Doktoranden zum Thema gehabt haben sollen. In ihrem Büro sollen Männer und Frauen in Tränen ausgebrochen seien, Letztere bezeichnete Gabriela M. auch mal als "schwache Wesen". Die ETH Zürich spricht auf Anfrage von einem "schlechten Führungsverhalten, welches an der ETH Zürich nicht toleriert wird".

Gabriela M. und Paul F. äußerten sich nicht auf eine Anfrage der SZ. Sie sind in der Schweiz gut vernetzt. Er war Forschungsrat beim Schweizerischen Nationalfonds, sie saß in einem Gremium des Europäischen Forschungsrats.

Ob man zu spät auf die Vorwürfe reagiert habe? Oder die Geschichte am liebsten ganz unter den Teppich kehren wollte? Diese Interpretation will die Uni nicht gelten lassen. Man habe erst im Februar 2017, als sich eine Doktorandin an den Ombudsmann der ETH wandte, von der Situation erfahren und dann rasch gehandelt. Die Doktoranden der Professorin bekamen, je nach Wunsch, neue Betreuer zur Seite gestellt, einzelne Professuren des über die Jahre angewachsenen Astronomie-Lehrstuhls wurden in das Institut für Teilchenphysik integriert.

Die Art und Weise, wie der Lehrstuhl 2002 zustande gekommen ist, wäre heute nicht mehr möglich, sagt Franziska Schmid, Mediensprecherin der ETH. Gabriela M. war über das Dual-Career-Programm zur ETH Zürich gekommen - eine Maßnahme, um den Partnern von Kandidaten ebenfalls eine Stelle an der Hochschule zu sichern. Programme wie dieses sind heute an vielen Universitäten und in großen Unternehmen üblich - an der ETH gilt allerdings seit 2013 die Regelung, dass die Partner einander nicht direkt unterstellt sein dürfen.

Doch auch diese Regelung kann im Alltag zu Herausforderungen führen: Etwa wenn sich zwei Angestellte unterschiedlicher Hierarchiestufen ineinander verlieben. Dass sich berufliche und private Interessen in die Quere kommen, lässt sich auch mit professionellen Personalvorgaben nicht verhindern.

Der Fall hat in der Schweiz aber eine Debatte über den Umgang mit Doktoranden angestoßen. Oft sind die Wissenschaftler ihren Professoren gegenüber in einer äußerst schwachen Position: Gerade in exotischen Fächern haben sie kaum Ausweichmöglichkeiten. In Konfliktfällen bleibt ihnen, wenn es schlecht läuft, nur die Möglichkeit, die wissenschaftliche Karriere aufzugeben. Zudem begutachten die Professoren, die sie betreuen, auch die Abschlussarbeiten. In Deutschland ist das genauso.

Diese Machtfülle lässt den Professoren, die oft auch Arbeitgeber sind, viel Raum. Zu viel, findet etwa Caspar Hirschi, Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen. In der NZZ am Sonntag forderte er, dass Doktoranden künftig zwei Betreuer erhalten. Auf diese Weise könnten Begutachtung und Betreuung der Arbeit getrennt werden. Das Ziel müssten flachere Hierarchien im wissenschaftlichen Betrieb sein. Also, kurz gesagt: eine Revolution. Ob die Vorgänge im Zürcher Institut derart weitreichende Folgen haben, ist eher unwahrscheinlich.

Das Professoren-Pärchen vom Lehrstuhl für Astronomie wird schon bald an die ETH zurückkehren. Seit September befinden sich beide in einem sechsmonatigen Sabbatical - danach soll die "Schreckensherrschaft", wie es die Schweizer Boulevardzeitung Blick ausdrückt, also "nicht zu Ende sein". Und auch die ETH räumt ein: Gabriela M. könnte in Zukunft neue Doktoranden betreuen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3722096
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.10.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.