Süddeutsche Zeitung

Zivilprozess:Fall Ursula Herrmann: Wenn beide Seiten einen Prozess wollen

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Von Hans Holzhaider

Wird der Fall Ursula Herrmann noch einmal vor Gericht aufgerollt? 1981 war das zehnjährige Mädchen in Eching am Ammersee entführt worden; 19 Tage später fand man die Leiche des Kindes in einer im Wald vergrabenen Holzkiste. 2010 verurteilte das Landgericht Augsburg den damals 59-jährigen Werner Mazurek zu lebenslanger Haft.

Jetzt hat in Augsburg ein neuer Prozess begonnen, in dem es zumindest indirekt um den Tod von Ursula Herrmann geht, diesmal vor einer Zivilkammer des Landgerichts. Michael Herrmann, Ursulas Bruder, will von dem als Täter verurteilten Mazurek 20 000 Euro Schmerzensgeld. Infolge des psychischen Drucks, dem er durch den mehr als ein Jahr dauernden Strafprozess ausgesetzt war, habe er einen Tinnitus erlitten, der ihn bis heute in seinem Berufs- und Privatleben erheblich beeinträchtige. Wie das Gericht mit der Klage umgehen wird, blieb am ersten Verhandlungstag ungewiss.

Das erste, was ein Zivilgericht in einem Streitfall wie diesem unternimmt, ist der Versuch einer gütlichen Einigung. Das erwies sich sofort als müßig: Der Beklagte Werner Mazurek hat ein mindestens ebenso großes Interesse wie der Kläger Michael Herrmann daran, dass das Verfahren stattfindet. Für Mazurek ist es der letzte Strohhalm, um vielleicht doch noch vorzeitig in Freiheit zu kommen. Er hat stets bestritten, mit der grausamen Tat irgendetwas zu tun zu haben.

Michael Herrmann wiederum sagte dem Gericht, er wolle vor allem seinen Seelenfrieden wiederfinden. Um den ist es seit der Verhaftung Mazureks 27 Jahre nach Ursulas Entführung geschehen. Denn Michael Herrmann ist nicht überzeugt davon, dass mit Mazurek der richtige Täter verurteilt wurde. "Da hätten wir aber doch eine Frage", sagte der Vorsitzende Richter Harald Meyer. "Wie soll das mit diesem Verfahren funktionieren?" Keine ganz leicht zu beantwortende Frage.

"Wenn Sie beschließen, dass mir Schmerzensgeld zusteht, dann ordne ich mich dem unter und schließe damit ab", sagte Michael Herrmann. Denn dieser Beschluss würde bedeuten, dass auch die Zivilkammer von der Schuld Mazureks überzeugt ist. "Wenn mir hier noch mal bestätigt wird, dass Mazurek der Täter ist, dann ist es damit gut", sagte Herrmann.

Ob es dazu kommt, ist noch offen. Zunächst erkundigte sich das Gericht eingehend nach den Beeinträchtigungen, die das Ohrgeräusch für den Kläger mit sich bringt. "Es ist ein Ton von etwa 9000 Hertz", sagte Herrmann, der sich als Musiklehrer mit Frequenzen auskennt. "So stark, dass ich jeden Morgen noch vor dem Wecker aufwache." Seine Leistungsfähigkeit sei dadurch so beeinträchtigt, dass er in der Schule schon eine Stundenreduzierung beantragt habe. Das Gericht vertagte sich auf den 14. Juli.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2016
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