Süddeutsche Zeitung

Mitten in Würzburg:Provinz auf Weltniveau

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Die übellaunigen Zeiten schien die Universitätsstadt am Main längst überwunden zu haben. Derzeit aber kehren dort die alten ideologischen Fundamentaldebatten zurück - nur mit anderem weltanschaulichen Vorzeichen. Layla lässt grüßen.

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Manuela Rottmann, Bundespolitikerin der Grünen, macht es derzeit so: "Wenn mich in Berlin gerade jemand nach Würzburg fragt, schwindle ich aus Heimatverbundenheit ein bisschen." Sie sage dann: "Ne, ne, das hast du falsch verstanden. Das ist Würzbach, das mit dem Wurststreit. In Würzburg ist alles normal."

Hübscher kann man Heimatscham schwer vorführen - und dass sich eine Politikerin öffentlich zu derlei Methodik bekennt, lässt tief blicken, wie schlimm die gerade sein muss. Dabei schien Unterfrankens Haupt- und Domstadt das alles doch längst überwunden zu haben.

Klar, früher gerieten sich dort ältliche Herren notorisch in die Haare, alle hatten ein überlebensgroßes Ego, waren mal in der CSU, gründeten dann aber eine eigene Partei. Über das übellaunige "Weinfass an der Autobahn" lachte die halbe Republik, tat man's aber zu laut, so schritt der CSU-Bundespostminister (ja, so was gab's mal) Wolfgang Bötsch zur Tat und beschimpfte höchstpersönlich Spötter, gerne auch beim Stehempfang. Kurz darauf kreierte jemand das - ernsthaft werbend gemeinte - Ortslabel: "Provinz auf Weltniveau".

Tempi passati, eigentlich. Kirchtürme gibt's dort immer noch viele, aber mehr hatte sich Würzburg in den vergangenen Jahren als freigeistige Unistadt einen Namen gemacht - in der die Grünen stärkste Fraktion im Stadtrat sind. Bis nun die ideologischen Fundamentaldebatten mit voller Wucht zurückgekehrt sind, nur mit anderem weltanschaulichen Vorzeichen. Das sogenannte Layla-Verbot ging vom Main aus. Und gerade versinkt Würzburg in einer Art Wurst-Agonie, weil ein - jenseits von Ochsenfurt bisher kaum bekanntes - städtisches Kulturfest für ein paar Stunden fleischlos bleiben soll.

So unversöhnlich tobt der Streit - "Heult doch, ihr Würste!" kontra "Wir werden vegan unterdrückt!" -, dass sich sogar der Spiegel zum Eingreifen veranlasst sah. Per Interview wurde Würzburgs Kulturreferent Achim Könneke zur Sache vernommen, ein gesitteter Mensch mit Philosophie-Studium. Dessen Adrenalinhaushalt scheint von den Attacken der Pro-Wurst-Fraktion wider die "edukative Sortimentsbeschränkung" freilich so aus dem Gleichgewicht geraten zu sein, dass er sich zu persönlicher Herablassung hat verleiten lassen. Er könne das Befremden einiger aus dem Stadtrat - "von der Metzgerstochter oder dem Großbauer" - "durchaus verstehen", ließ er sich zitieren. Und seither brennt nun wirklich die Wurst in der Provinz auf Weltniveau.

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