Süddeutsche Zeitung

Wolbergs-Prozess in Regensburg:"Wer bei Wolbergs gräbt, kommt bei Schaidinger raus"

Lesezeit: 3 min

Von Andreas Glas, Regensburg

Es ist ein stinknormaler Stuhl. Metallgestell, halbhohe Rückenlehne, grauer Stoffbezug. Seit Ende September haben 44 Zeugen auf diesem Stuhl in Saal 104 des Regensburger Landgerichts gesessen. An einem kleinen Tisch, auf dem ein Mikro steht. An diesem Montag, um 14 Uhr, ist Zeuge Nummer 45 dran. Aber der Stuhl bleibt leer.

Nummer 45 trägt Glatze und Schnauzer. Sein Name: Hans Schaidinger (CSU), 18 Jahre war er Oberbürgermeister. Vor Gericht hätte Schaidinger auf den Mann treffen sollen, der ihm 2014 nachfolgte: OB Joachim Wolbergs (SPD), derzeit suspendiert, seit September auf der Anklagebank. "Wer bei Wolbergs gräbt, kommt bei Schaidinger raus", sagt ein früherer Rathausmitarbeiter über den mutmaßlichen Korruptionssumpf in Regensburg. Aber Schaidinger beruft sich auf Paragraf 55 der Strafprozessordnung. Der besagt, dass ein Zeuge nicht aussagen muss, wenn er sich dadurch selbst belasten könnte.

Schaidinger schweigt. Präsent ist er trotzdem. Seit Prozessbeginn fällt sein Name immer wieder. Wenn die Richterin Zeugen befragt, wenn sie Telefonate abspielen lässt, die während der Ermittlungen abgehört wurden. Was dabei immer offensichtlicher wird: Dass Schaidinger eine besondere Nähe zu einem millionenschweren Bauunternehmer pflegte.

Die Staatsanwaltschaft hat ja nicht nur Wolbergs im Visier. Sie ermittelt auch gegen Schaidinger. Bei Wolbergs geht es um mutmaßlich verschleierte Parteispenden, 475 000 Euro, mit denen Bauunternehmer Volker Tretzel versucht haben soll, seine Politik zu beeinflussen. Bei CSU-Mann Schaidinger geht es um einen Beratervertrag, den er nach seiner Amtszeit mit Tretzels Firma schloss. Angebliches Jahreshonorar: 260 000 Euro. Im Gegenzug soll sich Schaidinger dafür eingesetzt haben, dass Tretzels Firma den Zuschlag für jenes städtische Baugrundstück bekommt, das auch beim Wolbergs-Prozess im Zentrum steht: das Nibelungenareal.

Stimmen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, dann könnte Wolbergs einen schmutzigen Deal zu Ende gebracht haben, den Schaidinger einfädelte. Denn die erste Ausschreibung des Nibelungenareals fand noch unter Schaidinger statt, im Januar 2014. Unter Wolbergs wurde die Ausschreibung wieder kassiert - und das Areal im August 2014 zu geänderten Kriterien neu ausgeschrieben. Mit dem Ergebnis, dass letztlich die Firma Tretzel den Zuschlag bekam.

Dass Schaidinger ein krummes Ding gedreht hat, glaubt offenbar auch Norbert Hartl, der frühere SPD-Stadtratsfraktionschef, der ebenfalls angeklagt ist. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für Wolbergs' Handlanger. Hartl schildert die Dinge in abgehörten Telefonaten mit Wolbergs folgendermaßen: Nach der ersten Ausschreibung habe Schaidinger dafür plädiert, alle Bauflächen an Tretzel zu verkaufen - obwohl eine andere Firma acht Millionen Euro mehr geboten habe. Um dies durchzusetzen, hätte Schaidinger die Stimmen der SPD gebraucht, mit denen seine CSU damals in einer Stadtratskoalition regierte. Dagegen habe er sich aber gesperrt, "sonst werfen die uns noch Korruption vor", sagt Hartl am Telefon zu Wolbergs.

Daraufhin, so Hartl, habe ihn Schaidinger gemeinsam mit dem damaligen CSU-Fraktionschef Christian Schlegl zu den zuständigen Referenten geschickt, um über das weitere Vorgehen zu verhandeln. "Warum hat der Schaidinger nicht selbst verhandelt?", sagt Hartl am Telefon zu OB Wolbergs - und liefert eine Antwort hinterher, die so klingt, als habe er gerade durchschaut, dass ihn Schaidinger übers Ohr gehauen hat: "Möglicherweise hängt das mit einem Beratervertrag beim Tretzel zusammen. Capito?"

Was Hartl damit meinen könnte: Dass Schaidinger sich bewusst aus dem weiteren Vorgehen raushielt, damit ihm hinterher niemand vorwerfen kann, er habe den Beratervertrag deshalb gekriegt, weil er auf den Verkauf des Nibelungenareals an Tretzel Einfluss nahm. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Telefonat zwischen Hartl und Tretzel. Darin erzählt Tretzel von einem Schreiben, in dem er Schaidinger kurz vor Ende seiner Amtszeit mitgeteilt habe, "dass ich ihn gerne als Berater engagieren würde" - und dass er sich "bei den Beschlüssen zur Nibelungenkaserne" zurückhalten solle, "damit da kein Schatten auf seine doch sehr erfolgreiche Amtstätigkeit fällt".

Wolbergs, Hartl und Schaidinger haben bisher alle Vorwürfe zurückgewiesen, Unternehmer Tretzel ebenso. Aber es drängen sich Fragen auf: Haben der alte und der neue OB gemeinsame Sache gemacht? Muss Wolbergs den Kopf hinhalten für ein System aus Spenden und Gefälligkeiten, das bereits Schaidinger etablierte? Oder ist alles nur eine Kette an Missverständnissen und Zufällen, hinter denen gar keine kriminelle Absicht steckt?

Diese Fragen kann womöglich erst ein Prozess gegen Schaidinger klären. Doch obwohl die Staatsanwaltschaft seit zwei Jahren ermittelt, ist noch nicht klar, ob sie Anklage erhebt. Wer Schaidingers Rolle in der Affäre durchschauen will, muss sich vorerst mit dem zufriedengeben, was der Wolbergs-Prozess offenbart. Es gibt da etwa ein Telefonat, in dem Tretzel über "einen blöden Brief" spricht, indem er Schaidinger "zum Überführen meiner Segelyacht" eingeladen habe. Man muss wissen: Tretzel und Schaidinger teilen eine Leidenschaft fürs Segeln und fürs Fliegen. Neben dem Honorar soll der Beratervertrag Schaidinger die kostenlose Nutzung der Tretzel-Yacht garantiert haben. Und schon während seiner Amtszeit nutzte der Alt-OB angeblich das Privatflugzeug des Unternehmers. Zudem prüft die Staatsanwaltschaft offenbar den Kauf einer Tretzel-Wohnung durch Schaidingers Tochter.

Ob Schaidinger sich vor einer Anklage fürchtet? Ein Telefonat, das Tretzel vor zwei Jahren mit Wolbergs führte, deutet eher nicht auf Panik beim Alt-OB hin. Tretzel sagt darin über Schaidinger: "Der ist ja wirklich cool."

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Quelle:
SZ vom 18.12.2018
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