Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Bayerns Unternehmen fehlen die Azubis

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Von Maximilian Gerl, Ebensfeld

Wolfgang Schubert-Raab klingt wie ein Lottogewinner. Acht! "Da sind wir schon stolz drauf", sagt der Bauunternehmer, man hört es seiner Stimme an, und tatsächlich ist ihm ein besonderer Gewinn geglückt: Während das ganze Land verzweifelt Lehrlinge sucht, werden in seiner Firma bald acht junge Menschen ihre Ausbildung beginnen. So viel Glück hatten Kollegen nicht. Schubert-Raab sagt: "Das ist ein echtes Problem."

Die Wirtschaft klagt über Lehrlingsmangel. Zum September startet das neue Ausbildungsjahr, doch im Freistaat werden wieder Tausende Lehrstellen leer bleiben. Nach Angaben des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags kamen zuletzt 44 000 verfügbare Ausbildungsplätze auf 23 000 unversorgte Schulabgänger. Manche Betriebe melden ihre Plätze nicht einmal mehr, weil sie die Hoffnung auf eine Besetzung aufgegeben haben. Was das bedeutet, lässt sich auf dem Bau beobachten.

Es gab Zeiten, da fingen zum September 20 Lehrlinge bei der Firma Raab an. Chef Schubert-Raab ist nebenbei Präsident des Landesverbands bayerischer Bauinnungen und befindet sich in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Bei Raab arbeiten 200 Menschen, einer ist als Personaler für die Nachwuchssuche abgestellt, fährt auf Messen und sucht den Kontakt zu Schülern. Auf einer extra dafür eingerichteten Internetseite finden Interessierte einen Imagefilm und Infos zu den Ausbildungsberufen. Bewerbungen können sie über ein Onlineformular direkt einreichen. "Es geht nur über ständiges Engagement", sagt Schubert-Raab. Kleine Betriebe hätten dafür keine Kapazitäten. Wenn sie doch mal einen Lehrling fänden, dann nur dank einer Empfehlung eines Verwandten oder Mitarbeiters.

Die ersten zwei Jahre verbringen Lehrlinge vorwiegend in Schule und überbetrieblicher Ausbildung. Dass sie fehlen, fällt darum erst auf, wenn sie fertig sein sollten. Ohne Azubis von heute keine Fachkräfte von morgen; gerade wenn - wie am Bau - tendenziell mehr Mitarbeiter in Rente gehen als neue anfangen. Dabei bräuchten viele Baufirmen jetzt schon mehr Leute. Die Auftragsbücher sind voll.

Laut Statistischem Landesamt lag der sogenannte Bauüberhang zuletzt bei rund 147 000 Wohnungen, die auf ihre Fertigstellung warten. Durchschnittlich vergehen inzwischen 21 Monate von der Planung bis zum Bezug. Immobilienverbände warnen deshalb schon seit Längerem: Neben all den anderen Problemen beim Wohnungsbau drohe ein Personalmangel die Umsetzung von Projekten weiter zu verzögern. Eine Umfrage der Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Immobilienverbände ermittelte einen Engpass in allen Gewerken, vor allem bei den Installateuren sowie Beton- und Stahlbauern. Die Bauwirtschaft sei "an ihrer Kapazitätsgrenze" angelangt.

Zu viel Studium, zu wenig Ausbildung

Für den Lehrlingsmangel gibt es viele Erklärungen. Die einen beklagen eine gesellschaftliche Überakademisierung; für Eltern zähle nur, dass ihre Kinder studierten. Andere widersprechen; die Wirtschaft habe versäumt, jungen Menschen eine Perspektive zu bieten, die über Kreuzweh und Überstunden hinausgehe. Als Beispiel dient das Gehalt, das oft zu niedrig sei, um gerade in Städten davon zu leben.

Lehrlinge am Bau verdienen vergleichsweise gut. Sie beginnen mit etwa 700 Euro im Monat. Im dritten Lehrjahr sind bis zu 1400 Euro drin. Innungen und Unternehmer versuchen hartnäckig, das mit Imagekampagnen bekannter zu machen. Aber Klischees sind mächtig. Wie jenes, dass am Bau buckelt, wer für alles anderes zu blöde ist. Dass die Haupttätigkeit des Lehrlings darin besteht, den Kollegen mittags Leberkässemmeln zu holen. Schubert-Raab kennt sie alle, "das war vielleicht früher so", sagt er. Heute seien die Anforderungen am Bau höher, der Beruf sei naturwissenschaftlicher geworden. Tatsächlich müssen angehende Maurer inzwischen lernen, Konstruktionsskizzen zu zeichnen und wissen, welche Materialien sich wann wie zur Wärmedämmung eignen. Ähnlich sieht es in anderen Berufen aus.

Die Firmen werben schon im Kindergarten

Niemand weiß, wie viele Baulehrlinge dieses Jahr anfangen werden. Manche sagen mehreren Arbeitgebern zu und entscheiden sich kurzfristig fürs beste Angebot. In den vergangenen Jahren stiegen zumindest am Bau wie auch in einigen anderen Branchen die Ausbildungszahlen etwas, offenbar ein Effekt des hartnäckigen Werbens.

Auch Schubert-Raab gibt die Hoffnung nicht auf. Er setzt auf neue Zielgruppen, zum Beispiel auf Studienabbrecher und andere Quereinsteiger. Neulich war Schubert-Raab sogar mit einer Hobelbank im Kindergarten. "Das ist ja das Verrückte", sagt er, Kinder bauten ständig, im Sandkasten, mit Bauklötzchen, auf dem Spielplatz. "Irgendwo danach verlieren wir sie."

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Quelle:
SZ vom 27.08.2018
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