Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:Bayerns ach so harmlose Öko-Nazis

Lesezeit: 2 min

Von Lisa Schnell, München

Es ist ein seltsames Zeltlager. Die Kinder bauen keine Mooshäuschen, dafür schneiden sie das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 aus Holz aus. Sie klettern nicht zum Spaß auf Bäume, sondern marschieren stundenlang und stehen in Uniform stramm. Statt Bastelstunden gibt es Rassenkunde, statt "Über den Wolken" Lieder der Hitlerjugend.

Deutschlandweit organisieren die "Sturmvögel" solche Zeltlager. Es seien "Kaderschmieden", in denen die rechte Szene ihre Führer heranziehen will, sagt Marius Hellwig von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus betreibt.

2007 listete der Verfassungsschutz drei Zeltlager der "Heimattreuen Deutschen Jugend" in Bayern auf. Die HDJ wurde 2009 verboten, ihre Nachfolgeorganisation, die "Sturmvögel", aber sei noch aktiv, sagt Hellwig. Auch in Bayern. So kämen etwa bekannte Anführer der "Sturmvögel" aus dem Freistaat. Die letzten Belege dafür stammen von 2016, sagt die Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke. Auch gebe es in Bayern noch rechte Familienverbände, die schon in der HDJ aktiv waren.

Der bayerische Verfassungsschutz aber sieht keinen Grund, die "Sturmvögel" zu beobachten. Es gebe keine tatsächlichen Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen, heißt es in einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage von Katharina Schulze, der Innenexpertin der Grünen im Landtag. "Die Behörden sollten hier schon ein Auge darauf werfen. Alleine zum Wohl der Kinder, die eine Stunde stramm stehen und denen politische Feindbilder eingetrichtert werden", sagt Röpke. Überzeugte Rechtsextreme ließen sich durch ein Verbot nicht deradikalisieren, sagt Schulze. So sei es nicht nachvollziehbar, warum es nach dem Verbot der HDJ keine Folgebeobachtung gebe. Schulze zieht daraus den Schluss, dass die völkische Szene in Bayern offensichtlich nicht per se als Problem wahrgenommen werde.

Die völkische Szene, auch "Öko-Nazis" genannt, unterteilt Hellwig von der Stiftung in zwei Strömungen. Auf der einen Seite sieht er die "völkischen Siedler". Sie suchen sich aktiv wenig besiedelte Landstriche, um dort auf Einödhöfen ungestört ihre menschenfeindliche Weltanschauung zu leben. Nach außen wirken die oft als Biobauern oder Hebammen arbeitenden Rechtsextremen wie harmlose Aussteiger. Auch, weil sie sich oft im Natur- und Tierschutz engagieren. Erst bei genauerem Hinschauen erkenne man, dass hinter der grünen Nachhaltigkeitsphilosophie eine braune Ideologie stecke.

Besonders alarmierend sei, dass ihre Kinder in den abgeschlossenen Gemeinschaften der Ideologie vollkommen ausgesetzt seien. In manchen Gegenden wie in Mecklenburg-Vorpommern gebe es Siedlungen, die schon über Generationen bestünden. Solche rechtsextremen Kommunen kennt Hellwig in Bayern nicht.

Aktiv aber sei im Freistaat die "völkische Bewegung", wie er die zweite Strömung nennt. Zu ihr gehört etwa die esoterisch-religiöse Organisation "Artgemeinschaft", die laut Verfassungsschutz in Bayern Mitglieder hat, unter ihnen ein Bundespolizist aus Rosenheim, gegen den ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Der jetzige Führungsaktivist soll ein Rechtsextremist aus Unterfranken sein.

Der führende Verlag für den naturverbundenen Rechtsextremismus "Umwelt & Aktiv" hat seinen Sitz in Landshut. Darüber berichtete auch der Verfassungsschutz, mit den "völkischen Siedlern" aber bringt er ihn nicht in Verbindung. Auch zwischen "Reichsbürgern" und Siedlern bestehe keine Berührung. Eine solche strikte Trennung der Szenen entspreche nicht der Realität, sagt Hellwig. Für ihn ein Indiz mehr, dass der bayerische Verfassungsschutz keinen klaren Begriff von der völkischen Szene habe.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2017
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