Süddeutsche Zeitung

Schule:Warum es an bayerischen Gymnasien kaum Direktorinnen gibt

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Von Anna Günther, München

Angelika Wallner und Gisela Ewringmann als Vertreterinnen einer seltenen Spezies zu bezeichnen, ist überspitzt und doch wahr. Bei den beiden Frauen kann man durchaus an Darwin und seine Theorie denken, nach der sich die Stärkeren durchsetzen. Oder diejenigen, die in der Mehrzahl sind - und keine Kinder haben. Angelika Wallner und Gisela Ewringmann gehören zu einer sehr kleinen Gruppe in einer Männerwelt: Sie sind Direktorinnen an bayerischen Gymnasien.

Wallner leitet seit 13 Jahren das Gymnasium im niederbayerischen Dingolfing mit 960 Schülern und 90 Lehrern. Sie lebe für ihre Schule, sagt Wallner. Kinder hat sie nicht. Gisela Ewringmann ist Direktorin am Münchner Max-Josef-Stift. 650 Mädchen lernen an diesem Gymnasium, einige von ihnen wohnen im dazugehörigen Internat. Ihre beiden Töchter sind mittlerweile erwachsen, "aber ohne Oma hätte der Spagat zwischen Beruf und Familie nicht funktioniert", sagt Ewringmann.

320 staatliche Gymnasien gibt es, nur 64 davon leiten Frauen. Das ist der geringste Anteil aller Schularten, an Berufsschulen ist es kaum besser. Nur die Grund- und Mittelschulen stechen mit 63 Prozent Frauenanteil heraus, allerdings gibt es an den 2400 Grundschulen auch nur sehr wenig männliche Pädagogen. Hört man sich bei Lehrerverbänden und unter Schulleitern um, herrscht Einigkeit: Es sei besser als früher, als die Direktorate fast ausschließlich in Männerhand waren. Dennoch müsse dringend etwas getan werden.

Zwar gibt es an der Lehrerakademie in Dillingen Kurse für Führungskräfte, aber das reiche bei weitem nicht aus. Und nicht nur der Nachwuchs müsse geschult werden, auch vielen etablierten Schulleitern täten Fortbildungen gut, sagt einer, der sich gut auskennt. Offen reden beim Thema Beförderung und Beurteilungskriterien die Wenigsten, vermintes Gelände, heißt es.

Im Kultusministerium sieht man kein Problem, frühe Förderung von Nachwuchsführungskräften sei wichtig. Aber Maßnahmen für Frauen seien nicht nötig, in den letzten Jahren steige die Zahl der Chefinnen und es habe sich bewährt, Funktionsämter wie Fachbetreuer, Schulpsychologen oder Beratungslehrer gezielt Frauen anzutragen. Diese Posten sind Zwischenschritte auf der Karriereleiter. Befördert werde rein nach "Eignung, Leistung und Befähigung", das gehe strikt nach dienstlichen Beurteilungen, sagt eine Sprecherin.

Doch dort liegt das Problem: Seit 20 Jahren gilt das Gleichstellungsgesetz in Bayern, trotzdem zeigen die Zahlen der jüngsten Bewertungsrunde, dass Frauen deutlich seltener Spitzenbewertungen in den sieben Kategorien bekommen, an denen Lehrer gemessen werden. Diese aber sind entscheidend, um als Beamte im Schuldienst aufzusteigen und Karriere zu machen. Und auf jede Frau mit Bestwertung kommen zwei Männer - egal in welcher Schulart.

Die Schulleiter beurteilen ihre Kollegen alle vier Jahre. Bewertet werden Planung und Gestaltung des Unterrichts, erzieherisches Wirken und Teamfähigkeit. Besonderes Augenmerk liegt allerdings auf dem Engagement außerhalb des Unterrichts. Nur wer dazu bereit ist, bringt herausragende Leistung und bekommt Topwerte. Glaubt man den Zahlen, erfüllen junge Lehrer und Teilzeitkräfte diese Kriterien so gut wie nie. Aber je älter die Pädagogen werden, desto besser fallen die Beurteilungen aus.

Nach dem Referendariat sei ihr sogar geraten worden, einen Gang runterzuschalten, erzählt eine junge Volksschullehrerin. Ideen und Energie waren nicht erwünscht, das habe sie sehr frustriert. "Im Beamtensystem geht man noch davon aus, dass Erfahrung nur mit den Jahren kommt", sagt Karl-Heinz Bruckner, der Vorsitzende der bayerischen Gymnasialdirektoren. Die Erfahrung musste er als junger Lehrer selbst machen. "Das wirft einen zurück, die Motivation musste ich erst wieder finden." Als Schulleiter am Neuen Gymnasium in Nürnberg macht er es anders, schickt den Nachwuchs zu Fortbildungen und besetzt Funktionsstellen bewusst mit jungen, ambitionierten Kollegen - Frauen und Männern.

Auch Angelika Wallner und Gisela Ewringmann wollen junge Lehrer fördern, so wie sie einst von ihren Chefs gefördert wurden. "Hart war es vor allem am Anfang, als die Männer gleiche Arbeit machten und trotzdem vorbeizogen", sagt Ewringmann. Als sie sich dann für die Karriere entschieden hatte, lief es. Ihre niederbayerische Kollegin Wallner hätte ohne das Zureden einer älteren Kollegin den Weg in die Chefetage nicht gewählt. Bürokratie schreckte sie ab, auf die Chance zu Gestalten musste die Kollegin sie erst hinweisen.

Ein Grund für die wenigen Frauen in den Chefzimmern der Gymnasien ist für Wallner und Ewringmann, dass viele junge Lehrerinnen sich noch immer zu wenig zutrauen. Dabei können Teilzeitkräfte Funktionsstellen übernehmen und dürfen nicht schlechter bewertet werden als ihre Vollzeit-Kollegen.

Das Ungleichgewicht bei den dienstlichen Beurteilungen ist so altbekannt, dass die Opposition im Landtag nach jeder Bewertungsrunde dieselbe Anfrage stellt - mit ähnlichem Ergebnis. An einen Systemwechsel glauben Thomas Gehring (Grüne) und Günther Felbinger (Freie Wähler) nicht. Sie setzen weiter auf Mahnen und Nachfragen. Veränderung kann im Beamtensystem wohl nur von innen kommen.

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SZ vom 08.06.2016
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