Süddeutsche Zeitung

Regensburger Korruptionsaffäre:Früher Anwalt, heute Angeklagter

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Der CSU-Landtagsabgeordnete Franz Rieger steht von diesem Montag an vor Gericht, ihm werden Erpressung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung vorgeworfen. Es ist der vierte Prozess in der abenteuerlichen Affäre um Regensburgs Politiker.

Von Andreas Glas, Regensburg

Die schwere Holztür, die Sicherheitsschleuse, die Treppe hinauf zu Saal 104. Wenn Franz Rieger an diesem Montag ins Regensburger Landgericht marschiert, wird ihm einiges bekannt vorkommen. Er ist ja Rechtsanwalt in Regensburg, er kennt dieses Gebäude bestens. Und doch wird für Rieger alles anders sein. Weil er nicht als Anwalt kommt. Er kommt als Angeklagter.

Es ist der vierte Prozess in der abenteuerlichen Affäre um Regensburgs Politiker und deren seltsame Nähe zur örtlichen Baubranche. In den ersten zwei Prozessen wurde der frühere SPD-Politiker und Ex-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs wegen Vorteilsannahme beziehungsweise Bestechlichkeit verurteilt - am vergangenen Donnerstag hat der Bundesgerichtshof aber das erste Urteil gegen ihn aufgehoben. Wolbergs muss sich also erneut wegen Korruptionsvorwürfen verantworten. Im dritten Prozess sprach das Gericht den früheren CSU-Stadtrat Christian Schlegl schuldig, wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Nun, in Prozess Nummer vier, heißt der Angeklagte also Franz Rieger, Ex-Stadtrat und Ex-Kreisvorsitzender der CSU, für die er seit 2008 im Landtag sitzt. Die Vorwürfe gegen ihn: Erpressung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung.

Worum geht es konkret? Da sind zum einen die 60 000 Euro, die Rieger im Sommer des Landtagswahlkampfs 2013 von einem Regensburger Bauunternehmer gefordert haben soll, verbunden mit diesem Satz: "Sie wissen schon, wer in Zukunft über die Baugebiete und die Baugenehmigungen entscheidet?" Als Stadtrat hatte Rieger damals ja zumindest indirekt Einfluss auf bestimmte Bauvorhaben. Der Unternehmer, von dem Rieger die 60 000 Euro verlangt haben soll, gehört zum Kreis der Bauträger, die auch an Wolbergs spendeten. Er hat bereits einen Strafbefehl wegen Bestechung des früheren OB akzeptiert.

Im Prozess gegen Wolbergs war der Unternehmer wie ein Kronzeuge aufgetreten. Im Gerichtssaal waren auch seine Aussagen bei der Kriminalpolizei verlesen worden. Unter anderem sprach der Unternehmer von "Abstufungen des Bettelns", die er bei Regensburger Politikern erlebt habe. Während Wolbergs wie ein Bittsteller aufgetreten sei, habe ihn Rieger zum Spenden genötigt. Außerdem sei es Rieger wichtig gewesen, dass keine Spende die gesetzliche Veröffentlichungsschwelle von 10 000 Euro überschreitet.

Rieger soll Wahlkampfkosten über Scheinrechnungen beglichen haben

Was die Staatsanwaltschaft Rieger noch vorwirft: Dass er gemeinsam mit seinem Wahlkampfmanager Peter Kittel Wahlkampfkosten über Scheinrechnungen abgerechnet haben soll. Kittel ist eine schillernde Figur in Regensburg, vernetzt in Politik und Wirtschaft. Auf Schloss Thurn und Taxis veranstaltet er jedes Jahr den bekannten Weihnachtsmarkt. Auch Kittel muss sich von Montag an vor Gericht verantworten - wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Die Wahlkampfrechnungen, um die es geht, soll wiederum der erwähnte Bauunternehmer für Rieger übernommen haben, um Geldflüsse zu verschleiern. Es geht hierbei um insgesamt knapp 30 000 Euro.

Und dann sind da noch weitere knapp 50 000 Euro, die Rieger im Landtagswahlkampf 2013 aus dem Umfeld eines anderen Regensburger Bauunternehmers bekommen haben soll. Das Geld floss womöglich illegal über Strohmänner des Unternehmers, der im Juni 2019 verurteilt wurde, weil das Gericht die Absicht erkannte, dass er Ex-OB Wolbergs mit seinen Spenden politisch beeinflussen wollte. In einer E-Mail, die der SZ vorliegt, weist ein früherer Mitarbeiter des Bauunternehmers vier Kollegen an, jeweils 9950 Euro an Rieger zu spenden. In der Mail heißt es weiter: "Daten liegen bei, habe jedem von euch 10.000,- gestern mit dem Gehalt bezahlt." Firmenspenden könnten demnach als Privatspenden getarnt und ihre Herkunft verschleiert worden sein, indem die Einzelbeträge je knapp unter der 10 000-Euro-Schwelle gehalten wurden.

Der Fall Rieger ist auch deshalb bemerkenswert, weil der CSU-Politiker den Ex-Oberbürgermeister Wolbergs zu Beginn der Regensburger Affäre zum Rücktritt aufgefordert und gesagt hatte: "Die Spenden- und Korruptionsaffäre ist eine Affäre Wolbergs und seiner SPD. Und sie bleibt auch allein deren Problem." Spätestens jetzt, da er auf der Anklagebank sitzt, hat Rieger allerdings selbst ein Problem.

Es droht der Rauswurf aus der CSU

Nicht nur strafrechtlich geht es ja um viel für ihn, auch politisch. Nach der Affäre um dubiose Deals von CSU-Abgeordneten mit Corona-Schutzmasken hat Parteichef Markus Söder "null Toleranz bei Verstößen gegen unseren Verhaltenskodex" angekündigt. Im CSU-Kodex heißt es über Parteispenden: "Sie müssen transparent sein und dürfen nicht an Bedingungen oder Einzelerwartungen gebunden sein." Sollte sich also bewahrheiten, dass Rieger Spenden verschleiert und an Entscheidungen über Bauprojekte geknüpft hat, droht ihm der Rauswurf aus der CSU. Nachdem die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hatte, war CSU-Generalsekretär Markus Blume bereits auf Distanz zu Rieger gegangen. "Das sind gravierende Vorwürfe. Wir erwarten eine rasche und vollständige Klärung vor Gericht", sagte Blume und verzichtete auf jede Form von Beistand.

Rieger selbst wollte sich kurz vor Prozessbeginn nicht auf SZ-Anfrage äußern. Bislang hat er stets alle Vorwürfe bestritten. Auch Riegers mitangeklagter Wahlkampfmanager Kittel ließ die Anschuldigungen gegen seine Person unmittelbar nach der Anklage im Januar 2020 über seinen Anwalt Michael Reinhart zurückweisen. Über die Erpressungsvorwürfe gegen Rieger sagte dessen Verteidiger Dirk Lammer damals: "Nicht jeder, der sagt, er fühle sich erpresst, ist auch im Rechtssinn erpresst worden." Die Vorwürfe erfüllten keinesfalls den Tatbestand der Erpressung. Es sei auch "nicht zutreffend, dass Herr Rieger solche Äußerungen getätigt hat", wonach er Spenden an Bauprojekte geknüpft haben könnte, sagte Lammer. Dass es sich bei einigen Spendern um Strohmänner gehandelt haben soll, sei "rechtlich sehr fraglich". Und bei den mutmaßlichen Scheinrechnungen sei Rieger "nicht eingebunden" gewesen.

Mehrere Richterinnen und Richter sind möglicherweise befangen

Also, alles nur heiße Luft? Da ist jedenfalls noch so ein Satz, den einer der Bauunternehmer der Kripo zu Protokoll gab. Als er ihn nach Spenden fragte, soll Rieger gesagt haben, er habe "beste Kontakte in die lokale Richterschaft". Da passt es ins Bild, dass vor dem Prozess gleich sechs Regensburger Richterinnen und Richter eine mögliche Befangenheit anzeigten. Richterin Elke Escher, die den ersten Wolbergs-Prozess geführt hatte, gab etwa an, dass sie Rieger aus Studienzeiten kenne und öfter an "teils privaten Feiern" des CSU-Politikers teilgenommen habe.

Für den Rieger-Prozess sind zunächst acht Verhandlungstage angesetzt, 18 Zeuginnen und Zeugen sollen aussagen. Ein Urteil könnte es noch im November geben.

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