Süddeutsche Zeitung

Kurioser Prozess:Der Nächste ins Gefängnis, bitte!

Lesezeit: 3 min

Von Olaf Przybilla, Bamberg

Die Festnahme eines Zeugen im Prozess ist ungewöhnlich, kommt aber im Gerichtsalltag durchaus vor. Unter Juristen ist die Haltung dazu gespalten. Die einen halten Festnahmen direkt nach einer vermeintlichen Falschaussage für ein unangemessenes Mittel staatsanwaltschaftlicher Machtdemonstration, mitunter sogar für pädagogische Gerichtsfolklore - man könnte bei entsprechendem Verdacht zunächst auch einfach ein Ermittlungsverfahren einleiten wegen Verdachts uneidlicher Falschaussage. Andere begrüßen gerade den erzieherischen Aspekt: den Fingerzeig, dass man als Zeuge bei der Wahrheit bleiben muss und es eben kein Kavaliersdelikt ist, davon abzuweichen. Ein Fall am Landgericht Bamberg sorgt nun aber doch für größeres Aufsehen, und das nicht nur unter Juristen. Denn dass Zeugen noch im Gerichtssaal gewissermaßen reihum festgenommen werden nach ihrer Aussage, das ist schon sehr selten.

Man könnte in so einem Fall an ein Milieu des organisierten Verbrechens denken, etwa einen Prozess gegen Mafiosi, in dem sich die Mitglieder vorab abgesprochen und ihre Aussagen konfektioniert haben. Der Bamberger Fall liegt aber ganz anders. Angeklagt sind zwei Männer, der eine wegen vorsätzlicher Körperverletzung, der andere wegen versuchten Totschlags. Es geht um einen nächtlichen Übergriff, der die regionale Presse natürlich interessiert, immerhin hat sich die Auseinandersetzung in der Ausgehstraße schlechthin in Bamberg zugetragen, in der Sandstraße, und ein Mann hat dabei schwerste Verletzungen erlitten.

Unterdessen aber interessieren sich Medien aus ganz Deutschland für die Sache, vor allem aus Norddeutschland. Aus Kiel nämlich stammt ein Auszubildender, der im Juli 2017 auf der Durchreise nach Italien bei einer Bekannten in Bamberg Station machte und in der Tatnacht Zeuge jener Auseinandersetzung geworden ist. Als Zeuge hat er sich vor neun Tagen bei seiner Mutter Juliana F., die in Flensburg lebt, gen Süden verabschiedet, um vor Gericht auszusagen. Als sie das nächste Mal von ihm hörte, war er festgenommen worden. Und saß nun bis Donnerstag in Untersuchungshaft. Vorwurf: Uneidliche Falschaussage und versuchte Strafvereitelung.

Der 23-Jährige war nicht der einzige. Eine Zeugin wurde ebenfalls im Gerichtssaal festgenommen, befand sich zwölf Tage in U-Haft und kam erst nach einer Beschwerde auf freien Fuß. Gegen einen dritten Zeugen wurde Haftbefehl erlassen, der unter Auflagen, vor allem Kontaktverbot zu anderen Zeugen, außer Vollzug gesetzt wurde. Eine vierte Zeugin wurde am Mittwoch zunächst vorläufig festgenommen, kam erst danach wieder auf freien Fuß. Gegen weitere Zeugen wurden Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage eingeleitet.

Es geht in dem Verfahren wahrlich nicht um Petitessen. Das Opfer des Übergriffs ist so zugerichtet worden, dass er ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt und mit einer Schädeldachplastik versorgt werden musste, akute Lebensgefahr. Der nächtliche Gewaltexzess droht aber angesichts der Verhaftungen von Zeugen und den Ermittlungsverfahren nahezu aus dem Fokus zu geraten. Die Öffentlichkeit interessiert sich inzwischen mehr für die Frage: Welcher Zeuge wird diesmal eingesperrt?

Oberstaatsanwalt Otto Heyder sei der Überzeugung, dass "die Zeugen mehr wissen müssen", als sie vor Gericht angeben

Auf die Lehrerin Juliana F. wirkt das alles wie ein kafkaesker Albtraum. Ihr Sohn habe sie über die geplante Zeugenaussage informiert, klar. Sie erinnerte sich auch noch flüchtig, dass er ihr 2017 etwas über einen Vorfall in Bamberg erzählt hatte. Dass er nach seiner Aussage vor Gericht aber nicht nur nicht wieder nach Hause kommen würde, sondern gleich mehrere Tage eingesperrt werden könnte, das "überstieg komplett meine Vorstellungskraft", sagt F. im SZ-Gespräch. Ihr Sohn habe nie irgendwas mit der Justiz zu tun gehabt, sei ein "entspannter und höflicher" Typ. Dann plötzlich U-Haft in Franken. Zunächst durfte sie ihren Sohn tagelang nicht besuchen, sagt F., "das macht mich einfach fassungslos."

Das mit dem zunächst ausgesprochenen Kontaktverbot stimme, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Oberstaatsanwalt Otto Heyder, der die Anklage vertritt, sei der Überzeugung, dass "die Zeugen mehr wissen müssen", als sie vor Gericht angeben. So gebe es etwa ein Video, das viele der Zeugen zeige, und aus dem abzuleiten sei, dass sie mehr gesehen haben müssten als sie sagen. Um zu verhindern, dass auf die Aussage weiterer Zeugen Einfluss genommen wird, habe man sich für Haftanträge entschieden - und Besuchsbeschränkungen.

Verdunkelungsgefahr. Für Jan Smollich, den Anwalt von F., verstößt Bambergs Justiz "gegen jedes Rechtsstaatsprinzip". Ein junger Mann, der zum Zeitpunkt des Geschehens alkoholisiert gewesen sei, könne sich mehr als anderthalb Jahre nach der Tat nicht an alle Details erinnern - das sei völlig normal. Aber sogar wenn man unterstelle, der 23-Jährige könnte womöglich nicht ganz die Wahrheit gesagt haben, so gleiche das Vorgehen des Staatsanwalts gegen einen nicht Vorbestraften "legalisierter Beugehaft". Der Jurist erwägte zunächst eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Staatsanwalt; und sollte diese nicht von Erfolg gekrönt sein sogar eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung. Dies wird nun nicht mehr nötig sein: Am Donnerstag wurde die U-Haft nach sieben Tagen außer Vollzug gesetzt - und die Entlassung von Robin S. angeordnet.

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SZ vom 22.02.2019
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