Süddeutsche Zeitung

Marktl am Inn:Joseph Ratzinger darf weiter Ehrenbürger bleiben

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Wegen seiner Rolle im Missbrauchsskandal plagen sich mehrere Kommunen mit der Frage: Wie soll man mit dem emeritierten Papst umgehen? Der Gemeinderat seines Geburtsorts steht geschlossen hinter Benedikt XVI.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Genau 95 Jahre wird es an diesem Samstag her sein, dass im oberbayerischen Marktl am Inn in aller Herrgottsfrühe ein Bub zur Welt kam, der nach vier Stunden auf den Namen Josef Aloisius getauft wurde und sich dann weitere 78 Jahre und drei Tage später selbst Benedikt XVI. nennen sollte. Zu dessen Siebzigstem 1997 hatte die Gemeinde Marktl den damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger zu ihrem Ehrenbürger gemacht, und dabei bleibt es nun auch zum 95. Geburtstag, obwohl der inzwischen ehemalige Papst aus Bayern schwer in die Kritik geraten ist wegen seines Umgangs mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche.

Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht und intensiv über Benedikts Rolle diskutiert, sagt Marktls Bürgermeister Benedikt Dittmann (CSU) zu der am Ende einmütigen Entscheidung des Gemeinderats, die schon Ende Februar gefallen ist. Anderswo in Benedikts bayerischer Heimat steht ein Beschluss noch aus. Unter anderem ist Benedikt seit 2005 Ehrenbürger von Traunstein, das er selbst als seine "Vaterstadt" bezeichnet hat. 2007 kam die Ehrenbürgerschaft des Städtchens Tittmoning dazu, wo der nachmalige Papst in den Kindergarten ging, und 2019 folgte die Gemeinde Surberg, wo die Familie zeitweise wohnte.

Alle drei Kommunen und der Landkreis Traunstein haben im Februar eine gemeinsame Kommission eingesetzt, die sie in der Ehrenbürger-Frage beraten soll. Nach Angaben des Traunsteiner Landratsamts hat der Landkreis den Leiter des eigenen Rechtsamts, die Sachgebietsleiterin für Kultur und Heimatpflege sowie eine Mitarbeiterin des Jugendamts in das Gremium entsandt, die drei anderen Kommunen benannten einen Notar im Ruhestand, einen ehrenamtlichen Heimatkundler und den Dekan der evangelischen Kirche für das südöstliche Oberbayern. Die Kommission habe sich vor zwei Wochen zum ersten Mal getroffen und könne sich für ihre umfangreiche Aufgabe so viel Zeit nehmen, wie sie brauche, heißt es aus Traunstein weiter. Das Ziel sei es aber, im Herbst einen Abschlussbericht veröffentlichen zu können.

Dieser Bericht soll dann den Kreis-, Stadt- und Gemeinderäten als Handreichung dienen, die unter anderem über eine eventuelle Aberkennung der Ehrenbürgerschaft entscheiden könnten. Die Gruppe werde sich aber auch mit der "Erinnerungs- und Würdigungskultur" insgesamt befassen, denn nach Benedikt sind in der Region unter anderem Straßen, Wege, Kindergärten und Orgeln benannt, am Traunsteiner Stadtplatz steht eine Bronzebüste des emeritierten Papstes.

Die gleiche Ehre wie im Landkreis Traunstein ist Benedikt in Aschau am Inn, Regensburg, Pentling und Freising widerfahren, und auch dort fragten sich die Räte mal mehr und mal weniger öffentlich, wie nun zu verfahren sei angesichts der per Gutachten dokumentierten Versäumnisse des damaligen Münchner Erzbischofs Ratzinger bei der Aufklärung mehrerer Missbrauchsfälle. Eine klare Entscheidung ist bisher nur in Marktl gefallen, wo heuer wieder einige Gläubige vom Geburtszimmer zum Taufstein in die Pfarrkirche ziehen möchten. Am Abend des Ostersonntags will der Passauer Bischof Stefan Oster dort einen Gottesdienst feiern, tags darauf öffnet die winters stets geschlossene Ausstellung im Marktler Papsthaus.

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