Süddeutsche Zeitung

Oberbayern:Wie eine syrische Familie die Falafel an den Inn brachte

Lesezeit: 6 min

Die Albaghdadis aus Damaskus haben im oberbayerischen Gars am Inn einen Imbiss eröffnet - manches Gericht müssen sie erst mal erklären.

Reportage von Elisa Britzelmeier, Gars am Inn

Gars-Bahnhof ist kein Ort des Willkommens. Alte, klapprige Züge halten hier. Der Bahnsteig ist meistens leer, das Bahnhofsgebäude ein schlichtes graues Haus, das Bistro darin hat tagsüber geschlossen. Zum Dorf fährt man drei Kilometer. Zwei Jahre ist es nun her, dass die Albaghdadis hier ankamen: Vater Yahya, Mutter Safa, mit der jüngsten Tochter Layan, den erwachsenen Söhnen Ahmad und Mohamad, dessen Frau Nouran und deren Sohn Yahya. Zu siebt hatten sie es geschafft. Aus der Millionenstadt Damaskus nach Gars am Inn, Landkreis Mühldorf, 3800 Einwohner, 35 Flüchtlinge. Das war im September 2013.

Die Familie hatte schwere Koffer dabei und kaum eine Vorstellung von dem, was kommen würde. Dass sie sich hier einmal zuhause fühlen würden, schien kaum denkbar. Von der neuen Heimat sahen die Albaghdadis erst einmal nicht viel, es war schon dunkel, als sie aus dem Zug stiegen. Einen Bus gab es nicht, die Syrer liefen los vom Bahnhof in Richtung Zentrum. Nach wenigen Metern hielt ein Autofahrer an und nahm sie mit. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die Albaghdadis Glück hatten.

Wo früher eine Würstelbude war, gibt es jetzt arabisches Essen

Heute steht ihr eigener kleiner weißer Imbisswagen mitten im Ort, gegenüber von Rathaus und Sparkasse, vor der Apotheke. Bei Elektro Kebinger um die Ecke ist das Schaufenster mit riesigen Christbaumkugeln dekoriert. Yahya Albaghdadi, 47, Schürze und Steppweste über dem karierten Hemd, ruft den Passanten schon von weitem ein fröhliches "Servus" zu, sie grüßen zurück. Im November hat der Imbiss der Albaghdadis eröffnet. Wo früher mal eine Würstelbude war, gibt es nun arabisches und türkisches Essen, Falafel, Döner und Schawarma. Dass Falafel aus Kichererbsen gemacht werden und nicht süß sind, mussten sie den Garsern erst mal erklären, sagt der zweitälteste Sohn Ahmad, 25. Schawarma heißt auf der Karte "arabischer Döner".

Ahmad Albaghdadi spricht leise und deutlich, sein Deutsch ist mittlerweile fast perfekt. Seit einem Jahr sind alle sieben Albaghdadis als Flüchtlinge anerkannt. Sie hätten dann woanders hinziehen können, aber sie sind in Gars geblieben. Obwohl Yahya, der Vater, eigentlich ein Stadtmensch ist, wie Ahmad sagt. Ahmad, Brille, gepflegte Hände, die Haare akkurat frisiert, hat ein verbindliches Lächeln. Er ist es gewohnt, alles zu regeln für seine Familie, aber eigentlich will er weiter Pharmazie studieren. Endlich hat es mit dem Studienplatz in München geklappt, in ein paar Monaten fängt er an. Dann ist sein Bruder Mohamad, 26, für den Imbiss zuständig.

In Damaskus hatten sie mehrere Lokale

Die Familie arbeitet seit Jahren in der Gastronomie. In Damaskus führten sie mehrere Lokale, vier Filialen mit Falafel und Humus, ein Restaurant mit traditioneller arabischer Küche, einen Laden, in dem es Obst und Saft gab. Die Geschäfte gingen gut. Yahya Albaghdadi hatte die Lokale von seinem Vater übernommen und ausgebaut. "Man begrüßte uns auf der Straße, und wenn wir in andere Restaurants zum Essen gingen, behandelte man uns besonders gut", sagt Ahmad. Aber dann kam der Krieg. 2012 flüchteten die Familie nach Ägypten, ein Jahr lang versuchten sie, sich dort eine Zukunft aufzubauen, vergeblich. Schließlich wagten sie den Weg nach Europa. Über Italien erreichten sie Deutschland, ein Land, das Sicherheit versprach, während in Syrien weiter die Bomben fielen.

Dass die Albaghdadis die Familientradition nun in Oberbayern fortsetzen können, liegt vor allem an zwei Frauen: an Solveig Kiesel und ihrer Mutter, Annette Hugel-Seberich. Ohne sie wäre der Imbisswagen immer noch ein Traum.

Kiesel, 39, kümmerte sich von Anfang an um die Flüchtlinge. Sie organisierte Möbel aus Wohnungsauflösungen, sammelte Kleiderspenden, brachte andere dazu, mitzuhelfen. Einen Bezug zur arabischen Welt hatte sie schon immer, sagt sie, ihrer Mutter gehört eine Wohnung in Ägypten, zusammen sind sie viel gereist. Eigentlich ist Kiesel Künstlerin, doch sie arbeitet im Kindergarten. Layan, die jüngste Tochter der Albaghdadis, war in Kiesels Gruppe. Heute ist sie sieben, geht mit Freundinnen in die Mittagsbetreuung und lernt Einradfahren. Eines Tages traf Kiesel Safa Albaghdadi im Supermarkt. "Da stand sie, ein wenig ratlos, und wusste nicht, was sie kaufen soll", sagt Kiesel. Also sprach sie die 44-Jährige an. Die Albaghdadis hatten wieder Glück.

Kiesel sitzt bei Albaghadis auf dem Sofa, die blonden Haare zusammengebunden, Handy und Schlüsselbund griffbereit. Heute sind sie Freunde, und wenn es ein Problem gibt, wird Kiesel angerufen. Die Syrer laden gerne zu sich ein, seit sie wieder ein Zuhause haben, ins Wohnzimmer mit der Eckbank, der braunen Schrankwand und den schweren Vorhängen, das ein wenig aussieht wie aus den Siebzigern.

Irgendwann kam die Idee auf, es mit etwas kleinem zu versuchen

Die Albaghdadis hatten sich Gars nicht ausgesucht. Sie bekamen in München einen Zettel in die Hand gedrückt mit ihrer neuen Adresse. Aber die Menschen waren hier von Anfang an nicht in einer Turnhalle untergebracht wie anderswo in Bayern, sondern in einem Wohnhaus. Heute wohnen die Flüchtlinge in normalen Mietswohnungen, die Albaghdadis nur wenige Meter vom Imbisswagen entfernt, in der Hauptstraße. Gäste bekommen Tee mit viel Zucker und Falafel zum Probieren.

Am Anfang gab es nichts zu tun, keine Arbeit, und Deutschkurse nur für die Jüngeren. Die Eltern lernten die Sprache mit freiwilligen Helfern, aber die Sehnsucht nach einer Aufgabe wurde immer größer. Dass er wieder in der Gastronomie arbeiten wollte, war für Yahya Albaghdadi immer klar, am liebsten im eigenen Betrieb. Dass das schwierig würde, auch. Irgendwann kam die Idee auf, es mit etwas kleinem zu versuchen. Einem fahrbaren Wagen zum Beispiel.

Doch für den Traum fehlte das Geld. Nach der Flucht waren die Ersparnisse beinahe aufgebraucht, und ein Darlehen zu bekommen, schien aussichtslos. Die Bundesregierung will Anfang 2016 ein Gesetz erlassen, das Flüchtlingen das Recht auf ein Konto gewährt. Aber ein Recht auf Kredit gibt es nicht. Und vor einem halben Jahr, als die Familie mit Kiesel die Idee vom Imbisswagen entwickelte, gab es noch keine Förderprogramme. Dass Flüchtlinge sich selbstständig machen, war nicht vorgesehen - schwierig ist es nach wie vor. Kiesel sagt: "Ich habe sämtliche Banken abtelefoniert, aber die Familie hatte keine Chance." Also nahm kurzerhand ihre Mutter einen Kredit auf - für die Albaghdadis.

Annette Hugel-Seberich fühlt sich den Syrern nah. Sie hatte immer den Plan, eines Tages mit ihrer Tochter Solveig nach Damaskus zu fahren. Warum sie so bereitwillig Schulden aufgenommen hat? "Ohne Hilfe geht es doch nicht", sagt Hugel-Seberich. "Herr Albaghdadi war mal ein Chef, hatte alles im Griff und hat so viel zurückgelassen." Hat sie keine Angst um ihr Geld? "Ich kenne die Familie so gut mittlerweile, dass ich weiß: Ich kriege das zurück." Hugel-Seberich lebt in Starnberg, sie hat die Albaghdadis zu sich nach Hause eingeladen. Ahmad sagt: Anders als die meisten Deutschen. Im Sommer waren sie zusammen am See.

Gemeinsam stellten sie einen Businessplan auf, waren im Jobcenter, bei der IHK, informierten sich über Vorschriften und Gesetze. Hugel-Seberich sagt, dass man im Jobcenter eher erstaunt gewesen sei über die Idee, sich selbstständig zu machen. Hilfe habe es zumindest keine gegeben. "Unternehmerische Menschen wie die Albaghdadis trocknen geradezu innerlich aus, wenn sie nichts mehr zu tun haben", sagt Hugel-Seberich. Sie machten weiter. Schließlich kauften sie einen Imbisswagen. Mohamad und Ahmad machten den Führerschein. Eine befreundete Grafikdesignerin gestaltete kostenlos die Flyer. Und Ende November stand der Wagen.

Sie haben ihn lieber nicht mehr Albaghdadi genannt wie die Lokale in Damaskus. "Wegen des IS-Kämpfers", sagt Ahmad, wegen Abu Bakr al-Baghdadi. Sie wollen nicht mit dem in Verbindung gebracht werden, wovor sie flüchteten. Der Imbiss heißt Habibi, Liebling. Ahmad übersetzt es mit "Schatzi".

Zur Einweihung gratulierte das Garser Infoblatt, der Bürgermeister gab Tipps, alle Bekannten kamen. Der Imbisswagen sei ein Anfang, sagt Yahya Albaghdadi, vielleicht reiche es irgendwann für ein richtiges Lokal, Inschallah, so Gott will. Vielleicht sei aber auch irgendwann der Krieg vorbei. Dann wollen sie wieder zurück. Safas Eltern sind noch in Damaskus.

"Gars hat richtig darauf gewartet"

Die Garser haben sich ihre Flüchtlinge nicht ausgesucht, und die Albaghdadis haben sich Gars nicht ausgesucht. Vielleicht hatten sie aber einfach Glück miteinander, beide Seiten. "Gars hat richtig darauf gewartet, dass es endlich wieder einen Imbiss gibt", sagt Solveig Kiesel.

Dienstags und donnerstags in der Mittagspause ist am meisten Betrieb, wenn die Schüler Nachmittagsunterricht haben. Dann laufen die einen mit der Leberkässemmel vorbei, die anderen stehen in einer langen Schlange bei Albaghdadis an, für Döner, Schwarma, Falafel. "Alle so ordentlich und organisiert", sagt Mohamad. Morgens um halb neun machen sein Vater Yahya und er die Klappe auf. Um halb sechs fängt Mohamad an, das Fladenbrot zu backen. Jede Falafel formt er frisch, dosiert die Granatapfelsoße genau, den ganzen Tag lang. Den Garsern schmeckt es.

Zu Öfffnungszeiten und Lage hier mehr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2778575
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/ebri
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.