Süddeutsche Zeitung

Nürnberg:Symbolfigur Asif N.

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Von Claudia Henzler und Jasmin Siebert, Nürnberg

Warten und bangen, das sind seit mehr als einem Jahr die Hauptbeschäftigungen von Asif N., dem jungen Afghanen, der im vergangenen Jahr aus einer Berufsschule in Nürnberg heraus abgeschoben werden sollte und nur deshalb noch da ist, weil an jenem Tag in Kabul eine Bombe explodierte und der Abschiebeflieger am Boden blieb. Danach hat Anwalt Michael Brenner für ihn einen Asylfolgeantrag gestellt. Doch bevor über den entschieden wird, muss sich der mittlerweile 22-jährige Asif N. vor Gericht verantworten. Ihm wird unter anderem Widerstand gegen Polizeibeamte und Körperverletzung vorgeworfen, und zwar an jenem 31. Mai 2017, an dem er abgeschoben werden sollte. Damals hatten Mitschüler und Aktivisten eine Sitzblockade gebildet, der anschließende Polizeieinsatz eskalierte in tumultartigen Szenen.

Eigentlich sollte Asif N.s Prozess am Mittwoch beginnen, doch der zuständige Jugendrichter ist krank geworden, ein neuer Termin noch nicht bekannt. Deshalb muss Asif N. weiter warten. Das ist sein Tagesinhalt, seit er nicht mehr zur Schule gehen kann. "Ich will endlich etwas machen, aber ich darf nicht. Das macht mich so fertig", sagt er, wenn man ihn nach seiner Situation fragt. Denn das Berufsgrundschuljahr hat er abgeschlossen, und danach ginge es nur weiter, wenn er eine Lehrstelle hätte. Aber Asif N. hat von der Ausländerbehörde keine Genehmigung für eine Ausbildung bekommen. "Ich habe einen Stapel guter Zeugnisse, doch das nutzt mir alles nichts." So lebt er weiter in einer Nürnberger Asylunterkunft für Erwachsene und geht, um etwas gegen die Langeweile zu tun, regelmäßig ins Fitnessstudio und zum Kickboxen. Außerdem hat er Kontakt mit einigen Leuten, die sich nach dem Polizeieinsatz zusammengeschlossen haben. Die Gruppe "Widerstand Mai 31" unterstützt jene Demonstranten, die vor Gericht stehen, weil sie ihn schützen wollten. "Das macht mich alles so traurig", sagt er.

In seiner Geschichte verdichtet sich einiges, was die bayerische Asylpolitik an Konfliktstoff zu bieten hat. Da ist nicht nur die Frage, ob der Polizeieinsatz verhältnismäßig war, da ist auch der Abschiebeversuch aus einer Schule heraus - noch dazu aus einer von der Staatsregierung geförderten Modellschule zum Thema "Perspektive Beruf für Asylbewerber und Flüchtlinge". Das hat damals viele Menschen in Bayern verstört und einige nachhaltig beschäftigt. Als Konsequenz hat die Bildungsgewerkschaft GEW kürzlich 1500 Unterschriften gesammelt. Die Unterzeichner sprechen sich nicht nur gegen Abschiebungen aus Schulen aus, sondern plädieren auch für eine sichere Aufenthaltsperspektive - mindestens zwei Jahre nach Abschluss der Ausbildung.

Der Fall Asif N. ist Symbol für eine Abschiebepraxis, die faktisch keinen Widerspruch ermöglicht. Dem Jugendlichen wurde damals erst in dem Moment, in dem die Polizei schon in der Schule stand, mitgeteilt, dass sein Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche abgelehnt wurde. Das Landgericht Nürnberg hatte anschließend öffentlich bezweifelt, dass es "rechtsstaatlichen Grundsätzen" entspreche, wenn ein Bescheid erst während der Abschiebung bekannt gemacht "und somit die Einlegung des Rechtsmittels vereitelt wird".

"Man darf nicht aufgeben"

Schließlich steht Asif N. für den plötzlichen Umschwung im Umgang mit Flüchtlingen aus Afghanistan, der so viele Flüchtlingshelfer wütend macht. Asif war ein Teenager, als er 2012 in Nürnberg ankam, er wurde damals in einer Unterkunft für unbegleitete Minderjährige untergebracht, er durfte trotz abgelehnten Asylantrags jahrelang zur Schule gehen, Deutsch lernen, einen Abschluss machen und Freundschaften schließen. Immer wieder wurden Duldungen ausgesprochen, weil es bis 2016 keine Abschiebungen nach Afghanistan gab. Und dann, als sich in Deutschland die Stimmung drehte, sollte der junge Mann, dem Nürnberg zur Heimat geworden ist, unvermittelt gehen.

Asif N.s Familie lebt in der Provinzstadt Ghazni. Sie wurde vor wenigen Wochen von den Taliban eingenommen. Er gehört zur Volksgruppe der Hazara, einer überwiegend schiitischen Minderheit, die von den Taliban verfolgt wird. Freunde von Asif N. vermuten, dass ihn die Familie wegschickte, weil sie Angst hatte, er könne ins Visier der Taliban geraten. Vor deutschen Gerichten zählt dieses Argument meist wenig. Den Hazara drohe keine "landesweiten Verfolgung", lautet ein Leitsatz der bisherigen Rechtssprechung. Es gebe mit Kabul eine "innerstaatliche Fluchtalternative".

Anwalt Michael Brenner erwartet nicht, dass sein Mandant vom Jugendgericht zu einer Strafhöhe verurteilt wird, die dessen Chancen auf einen positiven Asylbescheid vernichten würden. Auch Asif N. gibt sich verhalten zuversichtlich: "Man darf nicht aufgeben."

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Quelle:
SZ vom 27.09.2018
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