Süddeutsche Zeitung

Karfreitag in Bayern:Stille als Spaßverderber

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Eine Nacht ohne Tanz, laute Musik und Alkohol? Manche Jugendliche empfinden die "stillen" Feiertage als existenzbedrohend. Ein Blick in die Vergangenheit dürfte sie beruhigen - besonders im katholischen Bayern.

Von Hans Kratzer

Viele Jugendliche halten den Karfreitag für den schlimmsten Tag des Jahres. Nicht wegen der Kreuzigung Christi, von der Feierwütige eh keine Notiz nehmen. Vielmehr fühlen sie sich in ihrer Existenz bedroht, weil Tanz und Discomusik an diesem Tag verboten sind. Das hat der Staat so verfügt. Doch wie soll man dieses Gesetz all den jungen Leuten erklären, die Ostern nicht mehr von Weihnachten unterscheiden können, aber am Karfreitag in der Disco ihren Spaß haben wollen?

Schon schleichen sich Politiker ans junge Wahlvolk heran, darunter auch Heuchler, die von ihrer Ministrantenzeit schwärmen, aber ihre Kirche seitdem nicht mehr betreten haben. Es raunzt die Landesregierung in Baden-Württemberg gegen das Tanzverbot, die Jungliberalen liebäugeln am Karfreitag mit einer Spaßoffensive und selbst der aufgeklärte Deutsche Städte- und Gemeindebund will am Karfreitag nicht mehr nur Passionsmusik hören.

Tanzverbot an sechs "stillen" Tagen

Allein die Bayern wollen das Gesetz auf keinen Fall lockern. Erst vor zwei Jahren hatte der Landtag das Tanzverbot an sechs "stillen Tagen" aufgeweicht. In den Nächten vor Aschermittwoch, Gründonnerstag, Allerheiligen, Volkstrauertag, Totensonntag sowie Buß- und Bettag dürfen Rocker, Rapper und Chiller bis zwei Uhr morgens öffentlich hüpfen.

Freilich wird es in einer Spaßgesellschaft langsam schwierig, den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu feiern hätten. Das Land ist kulturell gesprenkelt, der Karfreitag wird in einem katholischen Alpendorf in Bayern ernsthafter begangen als in einem multikulturellen Stadtteil von Berlin. Wer den Untergang des Abendlandes heraufdämmern sieht, sollte aber nicht glauben, früher sei alles besser gewesen. Im tiefkatholischen Bayern herrschten gerade am Karfreitag chaotischere Umtriebe als in der heruntergekommensten Hardrock-Kneipe.

In der Karfreitagsliturgie schwang so mancher irdische "Christus" die Fäuste, wenn ihn die Häscher allzu lustvoll peinigten. Prügeleien mit dem Kirchenvolk waren üblich. Und ein Tanzverbot war überflüssig, weil die einen ihre Wunden leckten und die anderen das Karfreitagsmahl aus Heringen und Backwerk genossen, was sie letztlich zwang, den stillen Tag auf dem Plumpsklo zu verbringen.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2015
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