Süddeutsche Zeitung

Merk zu Missbrauchsfällen:"Der Staat muss handeln"

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Bayerns Justizministerin Merk kritisiert die Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch. Von der katholischen Kirche fordert sie umfassende Aufklärung - "ohne Wenn und Aber".

Annette Ramelsberger

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) mahnt die Kirchen zu mehr Zusammenarbeit mit der Justiz. Stelle sich heraus, dass der Staatsanwaltschaft bewusst Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch verschwiegen worden seien, dann werde das Verhältnis von Staat und Kirche beschädigt. Merk kündigt ein Krisentreffen mit den Bischöfen an.

SZ: In Bayern ist ein Flächenbrand losgebrochen. Immer mehr frühere Schüler melden sich, sie seien von Priestern missbraucht worden. Ein Fall für die Justizministerin. Warum sind Sie so still?

Beate Merk: Ich bin nicht still. Unser Problem ist: Viele dieser Taten sind verjährt. Deswegen setze ich mich dafür ein, die Verjährungsfristen zu verlängern. Sexueller Missbrauch ist nicht vergleichbar mit anderen Delikten - gerade was die Traumatisierung der Opfer betrifft. Die Opfer stehen unter Druck, sie haben Schuldgefühle, die Täter stehen ihnen oft sehr nahe und haben ihr Urvertrauen zerstört. Deswegen brauchen die Opfer auch länger, bis sie damit umgehen können und sich an die Polizei wenden. In den Koalitionsverhandlungen im Bund wollte ich diese längeren Verjährungsfristen durchsetzen. Es ist mir leider nicht gelungen.

SZ: Warum nicht?

Merk: Mir wird mit formalistischen Argumenten gekontert, das passe nicht in die Systematik des Strafrechts. Für mich ist das Verweigerung und Kapitulation vor dem Leiden der Opfer. Der Staat muss handeln, wenn er es kann. Und hier könnte er es. Bisher verjährt "einfacher" sexueller Missbrauch an Kindern zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag, drei Jahre nach dem 21. Geburtstag verjähren schon zivilrechtliche Ansprüche - zum Beispiel, dass ein Täter die Kosten für den Therapeuten bezahlt. Das ist viel zu kurz. Wenn es nach mir ginge, dann gäbe es hier überhaupt keine Verjährung - so wie in der Schweiz. Das Mindeste ist für mich eine Verjährungsfrist von 30 Jahren.

SZ: Die Kirche nimmt für sich in Anspruch, Verdachtsfällen zunächst intern nachzugehen und erst dann die Staatsanwaltschaft zu informieren. Sind Sie zufrieden mit den Aufklärungsbemühungen der Kirche?

Merk: Für mich ist unabdingbar, dass die Kirche Verdachtsmomente an die Staatsanwaltschaft weitergibt, damit diesen Dingen objektiv nachgegangen werden kann, zum Schutz der Opfer, aber auch zum Schutz der Täter vor falschen Verdächtigungen.

SZ: Das ist oft nicht geschehen. Die katholische Kirche hat viele Verdachtsfälle lange unter der Decke gehalten - das gibt sie nun selber zu. Reihenweise treten die Verantwortlichen zurück.

Merk: Es gibt auch rasche Reaktionen seitens der Kirche, es gibt aber auch andere Verhaltensweisen. Die Kirche muss die Staatsanwaltschaft einschalten, sobald sie einen Hinweis erhält.

SZ: Derzeit drängt sich das Gefühl auf, dass die Kirche gerade nicht so aktiv unterrichtet, sondern vertuscht. Staatsanwälte klagen über die Verzögerungstaktik der Kirchen. Dass sie erst Informationen bekämen, wenn über Fälle in der Presse berichtet wird. Ist das die Zusammenarbeit, die Sie anmahnen?

Merk: Keine pauschale Kritik an der Kirche. Aber die Kirche muss jetzt ein klares Signal geben, dass ihr der Schutz der Opfer, das Mitgefühl mit den Kindern, wirklich das Wichtigste ist. Dafür muss sie ganz konsequent mit den Staatsanwaltschaften zusammenarbeiten.

SZ: Das heißt: Es läuft nicht so, wie es laufen soll.

Merk: Es gibt Fälle, in denen es nicht so läuft, wie es laufen sollte. Es gibt Verantwortliche, die die staatlichen Ermittlungsbehörden sofort informieren. Aber ich wünschte mir, dass das nun überall so passiert. Die Kirche muss sehr schnell auf einen anderen Weg kommen. Wir müssen die Taten, die in Kirchen, Internaten, Schulen vorgekommen sind, umfassend aufklären. Ich erwarte jetzt ein ganz klares Signal von der Kirche, dass keine Unklarheiten geduldet werden, wenn es um den Schutz der Kinder geht. Ohne Wenn und Aber.

SZ: Ist das Vertrauen zwischen Kirche und Staat angeschlagen?

Merk: Es wird dann angeschlagen sein, wenn wir jetzt nicht sofort die Öffnung der Kirchen erfahren und Staatsanwälte dort ermitteln können, wo sie ermitteln müssen. Wenn sich herausstellt, dass die Kirche die Staatsanwaltschaft in manchen Fällen bewusst außen vor gelassen hat, dann wird das Vertrauen zwischen Kirche und Staat in Frage gestellt.

SZ: Reden Sie mit den Bischöfen?

Merk: Ich werde mich gern mit den Bischöfen treffen. Wir müssen das Problem gemeinsam angehen. Es darf nichts unter den Tisch gekehrt werden.

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Quelle:
SZ vom 6. März 2009
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