Süddeutsche Zeitung

Luchse im Bayerischen Wald:"Den Wilderern ist offenkundig der Druck zu groß geworden"

Lesezeit: 3 min

Von Christian Sebald, München

Gute Nachrichten aus den Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava: Die Zahl der Luchse, die in den beiden benachbarten Großschutzgebieten umherstreift, ist seit 2015 deutlich angestiegen. "Im Luchsjahr 2017/2018 haben wir 29 erwachsene und halbwüchsige Tiere gezählt", sagt Marco Heurich, der im Nationalpark Bayerischer Wald für das Wildtier-Monitoring zuständig ist. "2009, als wir mit dem Monitoring angefangen haben, waren es nur zehn erwachsene und halbwüchsige Luchse und acht Junge."

Die Entwicklung ist auch deshalb erstaunlich, weil die Zahl der Luchse lange stagnierte. Wilderer töteten immer wieder Luchse, nachdem sie die Schutzgebiete verlassen hatten. Raubtier-Experten wie Ulrich Wotschikowsky nennen den Bayerischen Wald daher "Bermuda-Dreieck für Luchse". Die Raubkatzen sind strengstens geschützt, ihre Tötung ist eine Straftat.

Heurich ist sich sicher, dass der Zuwachs kein zufälliger Ausreißer nach oben ist, wie er bei Wildtieren immer mal wieder vorkommt. Auch das belegt er mit seinen Zahlen. Denn der Zuwachs hält bereits seit dem Luchsjahr 2015/2016 an. "Damals waren in unseren Nationalparks noch 21 selbständige Luchse und drei Jungtiere unterwegs", berichtet er. "2016/2017 waren es bereits 27 erwachsene und halbwüchsige Tiere und elf Junge. Das zeigt, dass die Population vital ist und kontinuierlich wächst."

Der Aufwand, den die Forscher bei der Zählung betreiben, ist hoch. Luchse sind extrem heimliche Tiere, man bekommt sie praktisch nie zu Gesicht. Die Nationalparks sind zusammen um die 92 000 Hektar groß. In einem Gebiet von 82 000 Hektar Größe wählten die Forscher 66 Orte aus, von denen sie vermuteten, dass dort immer wieder Luchse unterwegs sind. An ihnen stellten sich insgesamt 105 Fotofallen auf. "Wenn ein Tier an so einer Kamera vorbeigeht, wird es automatisch fotografiert", sagt Heurich. Gleich ob es ein Luchs, ein Reh oder ein Hirsch ist. Im Gegensatz zu anderen Wildtieren haben Luchse eine individuelle Fellzeichnung. Sie ist einzigartig wie ein Fingerabdruck. "Daher können wir bei dem Monitoring auch die jeweiligen Luchse exakt bestimmen", sagt Heurich.

Gleichsam nebenbei erheben die Forscher noch allerhand weitere Daten, etwa über Reviere und Wildwechsel. Außerdem hat sich im Lauf der Jahre herausgestellt, dass die Luchse im Bayerischen Wald und im Šumava ein relativ hohes Alter erreichen können. Das älteste Männchen, das bisher nachgewiesen wurde, war zuletzt 13 Jahre alt. Eine Luchsin, die acht Jahre lang immer wieder in die Fotofallen tappte, erreichte sogar ein Alter von 14 Jahre. Die Forscher haben auch herausgefunden, dass in dem Monitoringgebiet der Bestand an Beutetieren über all die Jahr hinweg gleich groß geblieben ist. Das zeigt, dass die Bedingungen für die Raubkatzen im Grenzgebiet von Bayern und Tschechien vom Grundsatz her sehr gut sind.

Wenn da nicht die Wildereien der Vergangenheit gewesen wären. Seit Jahren sind in der Region um die Nationalparks immer wieder Luchse verschwunden, ohne dass Experten eine Erklärung dafür hatten. Einige spektakuläre Wildereien legten dann den Verdacht nahe, dass Kriminelle ihr Unwesen treiben. So vergiftete 2012 ein Unbekannter die Luchsin Tessa. Der Kadaver der Raubkatze, die aus Forschungsgründen einen Sender trug, wurde nahe Rinchnach entdeckt. Eine Jahr später schoss ein Unbekannter nahe Bodenmais eine trächtige Luchsin ab. Der Täter deponierte den Kadaver an einem Wanderweg, er wurde alsbald von Spaziergängern entdeckt. Im Frühjahr 2015 kam es dann zu der bislang spektakulärsten Wilderei. Ein oder mehrere Täter töteten das Luchspaar Leon und Leonie und trennten den Kadavern die Vorderbeine samt Schulterblättern ab. Anschließend legten sie die Teile am Haus von Sybille und Manfred Wölfl ab.

Das Ehepaar Wölfl, das im Bayerischen Wald lebt, zählen zu dem renommiertesten Raubtier-Experten in Bayern. Sybille Wölfl leitet das Luchsprojekt Bayern und engagiert sich seit vielen Jahren für die Rückkehr der Raubkatzen. Manfred Wölfl ist am Landesamt für Umwelt zuständig für Raubtiere. Dass die Wilderer die Kadaverteile direkt am Haus der Wölfls ablegten, wurde in der Naturschutzszene als makabres Signal von Luchs-Gegnern empfunden, dass sie die Raubkatzen nicht haben wollen im Bayerischen Wald.

Deshalb waren nicht nur die Proteste der Naturschützer sehr massiv. Sondern die Naturschutzverwaltung bis hinauf zu der damaligen Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) machte klar, dass sie solche Straftaten nicht dulden. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft Regensburg leiteten sehr aufwendige Nachforschungen ein. Schließlich wurde ein Verdächtiger ermittelt. Im Dezember 2016 wurde das Wohnhaus des Mannes durchsucht. Die Ermittler beschlagnahmten Schusswaffen und offenbar auch Luchstrophäen. Seither ziehen sich die Ermittlungen wieder hin. Allerdings gibt es auch keine Hinweise mehr, dass im Bayerischen Wald weiter Luchse gewildert werden.

Der Raubtier-Experte Wotschikowsky vermutet deshalb einen engen Zusammenhang zwischen den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft auf der einen Seite und dem Zuwachs an Luchsen auf der anderen. "Den Wilderern ist offenkundig der Druck zu groß geworden", sagt er. "Deshalb haben sie ihr Unwesen eingestellt. Sie trauen sich nicht mehr, ihre Schandtaten fortzusetzen. Und deshalb kann sich jetzt die Luchspopulation gut entwickeln." Die Staatsanwaltschaft Regensburg steht nach Angaben eines Sprechers inzwischen kurz vor dem Abschluss ihrer Ermittlungen.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2018
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