Süddeutsche Zeitung

Lichtenberg:Wie Gott in Franken

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Es gibt Orte, bei denen vergeht einem Hören und Sehen, so beschwert ist ihr Ruf: Lichtenberg in Oberfranken ist so einer. Doch nun wird der neue Kammermusiksaal eröffnet und alles wird leicht.

Glosse von Olaf Przybilla

Des Freistaats geschundenster Ort? Da kommt einem unweigerlich Lichtenberg in Oberfranken in den Sinn. Erst lag man dort Jahrzehnte lang nur einen - in dem Fall sehr wörtlich zu nehmenden - Steinwurf von der sogenannten Zonengrenze entfernt. Das ist vorbei, dafür werden die Lichtenberger nun seit 20 Jahren mit dem ungeklärten Kriminalfall "Peggy" assoziiert - und würde man einen Film zusammenschneiden nur mit den finstersten TV-Beiträgen über Lichtenberg, man könnte mehrere Tage lang vor der Glotze sitzen und sich in einem fort gruseln, gruseln, gruseln.

In einer Woche wird in Lichtenberg ein unterirdischer Kammermusiksaal eröffnet. Man kann das vorläufig nur andeuten, Fotos sollen vor der Saal-Eröffnung nicht öffentlich werden, verständlicherweise. Das aber darf schon verraten werden: Schon optisch ist der Saal ein Ereignis. Musikliebhaber dürften sich künftig vor die Frage gestellt sehen, ob sie schon in Lichtenberg waren. Und egal, ob der kleine Saal akustisch hält, was er optisch verspricht - für eine Stadt mit kaum 1000 Einwohnern kommt so ein spektakulärer Kulturort einer Sensation gleich.

Besuch also im sommerlichen Lichtenberg. Das Haus Marteau, frühere Künstlervilla eines gefeierten Geigenvirtuosen, wirkt in seiner gediegenen Erhabenheit wie aus einem ZDF-Vorabendtraum. Daneben, unter der Erde eines Landschaftsparks, werden künftig Musiker konzertieren, die sich in Meisterkursen in der Villa weiterbilden lassen. Die allein wirkt schon unwirklich, hernach aber kann man sich in Lichtenberg bewirten lassen wie Gott in Franken. "Harmonie" heißt das Haus, völlig zu Recht, eine Empfehlung braucht's nicht, weil die, die da einmal waren, eh immer wieder kommen. So also ist das in einem Fernsehgruselort.

Imagetrendwende in Lichtenberg? Wer weiß, zumal der Jubel in der Lokalpresse eher überschaubar ausfällt. Länger als erwartet wurde am Saal gebaut, teurer als gedacht sei er auch geworden. Wie halt immer und überall, könnte man sagen - und trotzdem frohlocken. Das aber ist nicht so die Sache der Franken, denen uneingeschränkter Lokaljubel seit jeher suspekt ist. "Der Franke ist dem Franken ein Wolf", hat mal ein prominenter Franke gesagt. Wird schon stimmen. Aufwärts geht's trotzdem in Lichtenberg.

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SZ vom 20.08.2021
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