Süddeutsche Zeitung

Naturschutz in Bayern:"Der Lech sitzt im Rollstuhl"

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Der Fluss in Schwaben und Oberbayern ist der am dichtesten verbaute Strom des Freistaats und gilt als Ruine. Nun aber laufen viele Konzessionen für Wasserkraftwerke aus - eine "Jahrhundertchance", meinen Naturschützer. Wie geht es weiter?

Von Florian Fuchs, Augsburg

Die Konzession für das Wasserkraftwerk in Gersthofen bei Augsburg läuft im Jahr 2032 aus. Die Konzessionen für die Kraftwerke Landsberg, Lechblick, Pitzling und andere folgen im Jahr 2034. Insgesamt 32 Staustufen hat der Lech, es ist der am dichtesten verbaute Fluss Bayerns. Gleichzeitig laufen nun geballt so viele Konzessionen von Strombetreibern für den Betrieb der Wasserkraftwerke aus wie nirgendwo sonst im Freistaat. Christine Margraf vom Bund Naturschutz nennt das "eine Jahrhundertchance", die genutzt werden müsse, um den Fluss, der im ökologischen Sinn eigentlich nur noch eine Flussruine ist, wieder naturnäher zu gestalten.

Die Naturschützer fordern unter anderem, den sogenannten Heimfall der Wasserkraftwerke zu prüfen, dass also der Freistaat den Betrieb übernimmt. Die Verstaatlichung des Energiekonzerns Uniper, des größten Akteurs am Lech, gibt der Diskussion, die die Grünen im Landtag bereits im Sommer angeheizt haben, nun einen neuen Schub.

Dass der Fluss ökologisch nachhaltiger aufgestellt werden muss, war einhellige Meinung beim "Zukunftssymposium Lech", zu dem der Bund Naturschutz und die Lechallianz Ende vergangener Woche Vertreter von Anrainer-Gemeinden, Behörden, Landratsämtern, Strombetreibern und Naturschützern eingeladen hatten. Der Lech, sagte dabei Jens Soentgen, Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt an der Universität Augsburg, werde nicht etwa vom Regen oder anderen natürlichen Einflüssen, sondern von der Strombörse geleitet - am Wochenende etwa, wenn die Börse geschlossen hat, wird weniger Wasser den Fluss hinab zur Donau geleitet, weil die Strompreise dann niedriger sind. Uniper kann den Wasserlauf mit Hilfe des Kraftwerks Roßhaupten am Forggensee bei Füssen auf Knopfdruck steuern.

Das Geröll kann die Staustufen nicht passieren

Die gewaltigen Eingriffe in den natürlichen Lauf des Flusses haben gravierende Folgen. "Der Lech sitzt im Rollstuhl, wie viele andere Flüsse auch", sagt Silke Wieprecht, Leiterin des Lehrstuhls für Wasserbau und Wassermengenwirtschaft der Universität Stuttgart. Der Fluss hat seine ursprüngliche Dynamik verloren, das sogenannte Geschiebe funktioniert nicht mehr: Das Geröll, das das Wasser eigentlich aus den Alpen den Fluss hinabtransportiert, kann die Staustufen nicht passieren. Der Flussbett wird dadurch instabil, Tiere und Pflanzen verlieren ihren Lebensraum.

Die Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass der Lech bis 2027 auf allen Abschnitten in einen guten ökologischen Zustand versetzt werden muss. Dieses Ziel, so viel steht heute bereits fest, wird verfehlt, obwohl die zuständigen Wasserwirtschaftsämter mit einigen Projekten versuchen, den Zustand des Flusses zu verbessern.

An der Litzauer Schleife etwa, einem der letzten naturnahen Abschnitte des Lechs, hat das Wasserwirtschaftsamt Weilheim Seitenrinnen geschaffen, die vor allem für Jungfische als Rückzugsort unverzichtbar sind. In Abstimmung mit Uniper wurde der Schwellbetrieb, also das sich wiederholende An- und Abstauen des Flusses, so modifiziert, dass die Fische an den Uferseiten nicht mehr in Scharen verenden, weil sie es bei einer Verringerung der Wassermenge nicht mehr rechtzeitig zurück in die Mitte des Flusses schaffen. Die Fischfauna hat sich durch diese Maßnahmen gut erholt. Südlich von Augsburg forciert das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth seit Jahren das größte Flussrenaturierungsprojekt Bayerns: Der Lech soll hier wenigstens einen Teil seiner Ursprünglichkeit zurückerhalten und wieder dynamisch sowie auf breiterer Fläche fließen dürfen. Die Umsetzung von "licca liber" wird mehr als 60 Millionen Euro kosten.

All diese Projekte helfen dem Lech jedoch nur in Abschnitten und lindern größtenteils Symptome der Misere. "Wir haben so stark in den Lech eingegriffen, dass wir auch in Zukunft werden eingreifen müssen", glaubt etwa Professorin Wieprecht von der Universität Stuttgart. Etwa um Geschiebe und Stein künstlich einzubringen, antransportiert von Lastwagen. Der Bund Naturschutz machte beim "Zukunftssymposium Lech" allerdings klar, dass er nicht nur Symptome, sondern die Ursachen des kranken Flusses anpacken will - bis hin zum Abriss von Wasserkraftwerken, um etwa das Geschiebe wieder zu ermöglichen. Bei solchen Forderungen werde man "angeschaut wie von einem anderen Stern, gerade jetzt im Zuge der Energiewende", sagt die stellvertretende BN-Landesbeauftragte Margraf. Sie verweist jedoch auf ähnliche Rückbauprojekte in Spanien und Frankreich. Die fehlende Stromgewinnung von abgerissenen Kraftwerken müsse durch leistungsfähigere Turbinen in bestehenden Wasserkraftwerken sowie durch andere Energieträger ersetzt werden.

Die Naturschützer sind dafür, die Kraftwerke zurück in staatliche Hand zu holen

Die Kraftwerke zurück in staatliche Hand zu holen, würde den Zugriff erleichtern und damit die von Naturschützern kritisierte Profitmaximierung am Fluss ausschließen - und damit auch die Umsetzung der aus Sicht der Naturschützer nötigen Umbaumaßnahmen sicherstellen. Bereits die Grünen forderten im Sommer, dass die Privatisierungen in den Neunzigerjahren unter Ministerpräsident Edmund Stoiber rückgängig gemacht werden müssten, auch an anderen bayerischen Flüssen. Die rechtlichen Konstellationen sind allerdings sehr komplex, wenn Konzessionen auslaufen. Naturschützer kritisieren, dass die Verhandlungen zwischen Freistaat und Betreibern über mögliche Verlängerungen weitgehend hinter verschlossenen Türen ablaufen.

Uniper hat in der Vergangenheit bereits betont, die Kraftwerke am Lech weiter betreiben zu wollen. Beim Walchenseekraftwerk im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, wo die Konzession 2030 ausläuft, gibt es bereits Verhandlungen. Am Rande des Lechsymposiums hieß es von Seiten Unipers, dass es zu früh sei für Aussagen, wie sich die Verstaatlichung des Konzerns auf die Pläne für den Lech auswirke. Uniper stehe jedoch weiter dazu, die Wasserkraftwerke auch in Zukunft betreiben zu wollen. Es habe nie Beschwerden vom Freistaat gegeben, dass Uniper sich nicht ökologisch am Fluss engagiere. Im Gegenteil, so sieht es der Konzern, seien Verbesserungen wie etwa an der Litzauer Schleife nur möglich gewesen, weil sich Uniper konstruktiv und freiwillig daran beteilige. Eine Mitarbeiterin betonte in Augsburg, dass es bis 2027 Fischaufstiegsanlagen an allen konzernbetriebenen Wasserkraftwerken gebe, um den Tieren Wanderungen durch den Fluss zu ermöglichen. Die zahlreichen kleinen Kraftwerke in Bayern seien das Problem, so sieht man es beim Stromkonzern - nicht die großen Anlagen wie am Lech.

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