Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Bayern:Optimismus - allen Umfragen zum Trotz

Lesezeit: 4 min

Von Lisa Schnell, München

Es ist nicht mehr lange hin bis zur Landtagswahl und wieder hat eine Umfrage eingeschlagen, und das mit einem großen Wumms. Es braucht eine Lupe, um im Einschlagkrater die SPD zu finden. Man traut sich fast nicht zu fragen, wie es Natascha Kohnen geht. Wie soll man sich da als Spitzenkandidatin schon fühlen? Jeden Tag ackert Kohnen durchs Land, von sieben Uhr in der Früh bis um zehn am Abend. Zwischendrin begehrte sie sogar auf gegen ihre eigene Bundesparteichefin in der Causa Maaßen, sie hatte auch noch Erfolg damit. Und dann Wumms - wieder eine Umfrage, wieder nur elf Prozent. Aber, es hilft ja nichts, wie geht es Ihnen, Frau Kohnen?

Kohnen lacht, man könnte sagen mit einer gewissen Leichtigkeit, zumindest hört es sich durchs Telefon so an. "Umfrage? Welche meinen Sie denn? Es gibt ja so viele." Egal, es gibt keine, in der die SPD nicht auf ein Desaster zusteuert. Ach, es sei doch noch alles offen, sagt Kohnen, die Leute noch unentschieden. "Das wird total spannend auf den letzten Metern!"

Sie hört sich an wie jemand, der ein Fußballspiel verfolgt und sich ehrlich freut, dass es so aufregend ist - obwohl die eigene Mannschaft 10:0 hinten liegt. Kohnen muss das sagen. Sie ist nicht nur Spielerin, sie sitzt auch auf der Trainerbank. Sie soll aufs Tor stürmen und die Moral der Mannschaft hochhalten. Also redet sie von Scheinwerfern, die angegangen sind und in dessen Licht sie sich selbst sieht. Erst jetzt seien die Leute wirklich "angepiekst" von der Wahl, erst jetzt kommen sie und wollen wissen, wer sie eigentlich ist. Und erst jetzt, nach dem ewigen Rumreiten der CSU auf der Flüchtlingsfrage, stünden im Scheinwerferlicht auch ihre Themen: Wohnen, kostenlose Kinderbetreuung. "Jetzt kommen soziale Themen doch noch hoch", sagt Kohnen. Und mit ihr die SPD?

Es ist eine vage Hoffnung, die ihre Partei gut durch die letzten Tage bringen soll. Es ist aber auch der Tunnelblick des Wahlkämpfers auf den letzten Metern, der sich verengt auf den nächsten Termin, die nächste zu verteilende Rose, die nächste Haustür, an die man klopft. "Ich mach' Wahlkampf, ich denke nicht, ich hoffe nicht, ich kämpfe", sagt ein SPD-Politiker, bevor er weitereilt zum nächsten Termin. Mancher aber verweilt doch einen Moment und erzählt. Mit jedem Wort steigt beim Zuhörer die Gewissheit, selbst schon aufgegeben zu haben, und die Anerkennung, dass sie es bei der SPD nicht tun.

"Hättet ihr beinahe auch wieder verbockt."

"Sie selbst sind ja ganz okay, aber ihre Partei kann man nicht mehr wählen", das höre er ständig, sagt einer. Die Partei, damit ist nicht die SPD in Bayern gemeint, sondern die im Bund. Da ist ein Verfassungsschutzpräsident, der gehen sollte und dann befördert wurde. Und Kohnen, die dazu beigetragen hat, dass es anders kam? Schulterzucken am Infostand: "Hättet ihr beinahe auch wieder verbockt." Es gibt eine Faustregel, von der sie in der SPD gerne erzählen. In Bayern stehe die SPD traditionell in der Zustimmung fünf Prozentpunkte hinter dem Bundestrend. 16 minus fünf macht genau elf Prozent. Die Genossen führen einen Zwei-Fronten-Krieg. Im Bund kämpfen sie gegen ihren Abwärtstrend, in Bayern gegen den Aufwärtstrend der Grünen. Kohnen sollte als Gegenentwurf zu Markus Söder wahrgenommen werden, jetzt hat diese Rolle die grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze.

Manche in der SPD sind schon froh, wenn es am Sonntag nur eine Niederlage wird und keine Katastrophe. 2013 holte die SPD 20 Prozent, jetzt würden sie sich über 16 freuen. Dann könnte es sogar für eine mögliche Koalition mit der CSU reichen. Viele in der Landtagsfraktion wären da nicht abgeneigt. Noch etwas anderes wird nach der Wahl wohl diskutiert werden. "Bei allem unter 15 Prozent muss man darüber reden, was man in Bayern falsch gemacht hat", sagt ein Vorstandsmitglied. Rücktrittsforderungen an Kohnen? "Nicht ausgeschlossen." Sie trage die Hauptverantwortung für ihren Wahlkampfstil.

Ein Abend bei den Nürnberger Nachrichten, das einzige Duell zwischen Kohnen und Söder. Es geht um Zuwanderung, Söder redet von Straftätern, die man abschieben müsse und unterstellt indirekt, Kohnen sehe das anders. Sie lässt das so stehen, spricht lieber von Polizisten und ihren Überstunden. Nächste Runde: Wohnen. Kohnen juchzt, endlich, ihr Herzensanliegen. Sie hat ein durchdachtes Konzept: Zuerst erklärt sie, wer für Bauen überhaupt zuständig ist. Sie hält die rechte Hand flach vor sich, das sind die Kommunen, stapelt die linke drauf, das Land, wieder die rechte, der Bund. Sie redet von Fördersäulen, gerne auch von der Grundsteuer C. Söders erster Satz: "Die Hauptaufgabe liegt bei den Kommunen und damit eher bei der SPD", die ja in München regiere.

Keine Referate halten, sondern mehr zuspitzen, konkreter werden als "Haltung" und "Anstand", Zuwanderung nicht vollends aussparen. So beginnt die Liste an guten Ratschlägen, wenn man sich umhört in der SPD. Spätestens als die Grünen zum Höhenflug ansetzten, hätte man sich mehr abgrenzen müssen. Selbst eine Genossin, die man am Infostand trifft, sagt von sich: "Ich könnte eigentlich auch Grün wählen." Kohnen lässt auch mal Medienanfragen an sich vorbeiziehen, um sich zuerst mit der Partei abzusprechen. Manchmal brauche es ein paar SMS, bevor sie sich in eine aktuelle Debatte einklinkt, erzählt einer. "Wenn sie sich mal auf die Hinterbeine stellt, ist der Zuspruch groß. Warum nicht öfter?" Mit ihrem Format Kohnen-Plus, bei dem neben ihr ein Gast im Mittelpunkt steht, mache sie sich nur klein.

Man könnte sagen, sie hat "Haltung" gezeigt.

"Entweder man liebt sie oder man hasst sie", sagt einer, der sich nicht zu Letzteren zählt. Die, die sie lieben, loben ihre sachliche Art, ihre Weigerung, in das Politikergepolter einzusteigen, ihre Hartnäckigkeit, mit der sie soziale Themen nach vorne stellt. Die, die sie hassen, müssen sich die Frage stellen lassen, warum sie Kohnen so zujubelten, als diese Landeschefin wurde. Damals schon kündigte sie ihren neuen politischen Stil an, von dem sie nicht abgewichen ist. Man könnte sagen, sie hat "Haltung" gezeigt.

Noch einmal zurück zur zuversichtlichen Kohnen: Hätte sie selbst denn etwas anders gemacht? "Ich blicke jetzt nur nach vorne." Und am Wahlsonntag? "Ich stehe an der Spitze, das ist meine Verantwortung", sagt Kohnen. Entscheidungen aber würden nur im Team getroffen und nicht zu schnell, erst mal Analysieren. Jetzt aber muss sie weiter, einen Gast treffen bei Kohnen-Plus: "Das funktioniert total gut!"

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Quelle:
SZ vom 08.10.2018
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