Süddeutsche Zeitung

Kulturbruch in Niederbayern:Josef ist out

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Selbst im katholischen Niederbayern findet der Vorschlag "Kinderhort St. Josef" keine Mehrheit mehr: Nicht zeitgemäß. Bei den Traditionalisten herrscht Empörung - und die Sorge, Bayern werde "zum Land der X-Beliebigkeit".

Von Hans Kratzer, München

Auch im katholischen Niederbayern nimmt der Wandel alter Traditionen immer stärker Fahrt auf. Exemplarisch war dies vergangene Woche im Gemeinderat des Marktes Essenbach zu erleben. Unter anderem wurde dort über die Namensgebung für den kürzlich eröffneten Kinderhort diskutiert. Zunächst schien nichts gegen den Vorschlag "Kinderhort St. Josef" zu sprechen. Es ist in Bayern ein bewährter Brauch, staatliche und kommunale Erziehungseinrichtungen gegebenenfalls nach ortsüblichen Heiligen zu benennen.

Auch in Essenbach lag dies nahe: In der Gemeinde hören traditionell viele Männer und Frauen auf die Namen Josef und Josefine. Es gibt deshalb sogar einen Josefiverein, der rührig im Gemeindeleben mitmischt und dem Gemeinderat den Namensvorschlag "Kinderhort St. Josef" unterbreitet hatte. Immerhin ist der heilige Josef der Patron der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Familie und der Kinder.

Kulturbruch im Gemeinderat

Doch dann kam alles anders als erwartet: Für den Vorschlag "Kinderhort St. Josef" kam keine Mehrheit zustande, von den 24 Gemeinderäten votierten lediglich acht für den Namen St. Josef. Bemerkenswert klang die Begründung einiger Räte sowie der Hortleitung, die den Vorschlag ablehnten: "Die Namensgebung St. Josef ist heute nicht mehr zeitgemäß."

In diesem Moment war vor allem der Josefiverein gründlich bedient, sein Vorsitzender Josef Pfriemer verließ demonstrativ den Saal: "Das ist ein Kulturbruch!" Und das ausgerechnet ein paar Tage vor der Feier des 20-jährigen Bestehens des Josefivereins, die an diesem Donnerstag ansteht.

Essenbachs Zweiter Bürgermeister Josef Spierer wollte der Entscheidung allerdings kein allzu großes Gewicht beimessen. "Die Ablehnung war ja nicht einstimmig", sagte er, "aber man wollte halt keinen Namen, der vielleicht die religiösen Gefühle anderer verletzt." Er sei in allen Ländern Europas unterwegs gewesen, sagt dagegen Pfriemer, es sei ihm stets ein leichtes gewesen, mit anderen Religionen zurechtzukommen. "Nur dort, wo Traditionen nicht mehr gelebt werden, sind sie schnell vergessen." Sogar in München gebe es einen Integrationshort mit dem Namen St. Josef, aber auf dem Land sei dies jetzt plötzlich altmodisch. "Das verstehe ich nicht."

Yussuf, Sepp oder Pep - die Josefs sind überall

Argumentativen Beistand erhält Pfriemer von dem Kulturwissenschaftler Reinhard Wittmann, der dem Argument, der Name St. Josef sei nicht mehr zeitgemäß, deutlich widerspricht. "Das ist ein Blödsinn", sagt Wittmann und verweist auf ein Idol der Gegenwart, auf den Bayern-Trainer Pep Guardiola, dessen Vorname eine spanische Kurzform des Josef sei. Dieser Name sei schon deshalb nicht überholt, weil er in den Heimatländern zahlreicher Migranten als ein klassischer Grundname bekannt sei (Yussuf). "Gerade der Verweis auf St. Josef dient doch der Integration von Kindern, da sie diesen Namen sofort erkennen", argumentiert Wittmann.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die Königlich-Bayerische Josefspartei, die darum kämpft, den Josefitag wieder zu einem Feiertag zu machen. Ausgerechnet die mit Josefs reich gesegnete CSU hatte den Josefitag 1970 als Feiertag abgeschafft, ungeachtet der Tatsache, dass ungezählte bayerische Josefs und Seppen in Gestalt von Torhütern, Politikern und Päpsten fruchtbar und segensreich in die Welt hineinwirkten.

Jeder fünfte hört in Bayern auf Josef

Die Josefspartei und die zahlreichen Josefivereine sehen in ihrem Namenspatron St. Josef alles andere als eine altmodische, nicht mehr zeitgemäße Figur. "Für uns ist der Josef ein Vorbild und der wichtigste Patron überhaupt", sagt Fritz-Josef Beintner, Geschäftsführer der Josefspartei. Gleichwohl ist am Popularitätsschwund des Josefitags und des Namens nicht zu deuteln.

Nachdem der bayerische Kurfürst Ferdinand Maria am 4. Mai 1664 den heiligen Josef zum Patron des Bayernlandes ernannt hatte, begann dieser Name Bayern stärker zu prägen als jeder andere Name vor und nach ihm. Noch heute hört jeder fünfte ältere Herr im Freistaat auf den Namen Josef respektive auf eine klingende Nebenform wie Sepp oder Bepp. Junge Josefs aber gibt es kaum noch, höchstens die eine oder andere Josefine.

Schon am Beginn des 20. Jahrhunderts hatten so manche Paten und Heilige als Vorbilder ausgedient. Damals, als sich plötzlich auch die Bayern als Deutsche zu fühlen begannen und dies durch Vornamen wie Wilhelm, Otto, Karl und Friedrich stolz zum Ausdruck brachten.

Die einstige Strahlkraft der alten bayerischen Namen kehrte nie zurück. Manchmal wünscht sich Sprachschützer Sepp Obermeier die Traditionstreue der Iren herbei, die ihren St. Patricks-Day im Gedenken an ihren großen Bischof sogar in Bayern ausgelassen feiern. "Die Iren imponieren mir", sagt Obermeier, "aber wir Bayern werden zum Land der X-Beliebigkeit."

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SZ vom 18.03.2015
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