Süddeutsche Zeitung

Kriminalität:Bayern setzt auf automatische Gesichtserkennung

Lesezeit: 2 min

Von Johann Osel, München

Der unscheinbare Herr - vielleicht Mitte 50, lichtes Haar und Schnauzer - wird gesucht, es liegt nur sein Foto vor. Um ihn zu identifizieren, hat Bernhard Egger, leitender Kriminaldirektor im bayerischen LKA, zehn weitere Bilder aufgerufen, allesamt Männer, die dem Gesuchten sehr oder etwas ähnlich sehen; manche wirken jünger, es gibt Vollbärte statt Schnauzbart, üppigere Haarpracht. Das aber ist egal, denn Egger geht es nicht um den optischen Eindruck - sondern um den Abstand von Augenhöhlen, um Nasenflügel, Lachfalten oder Ohren. Kurzum: um individuelle Merkmale, die sich nicht so schnell ändern.

Biometrische Gesichtserkennung nennt sich das, für die Vergleichsbilder aus einer Fahndungsdatenbank wird jeweils die Wahrscheinlichkeit angegeben, dass es sich um den Gesuchten handelt. Nummer vier ist es. Der Mann hat sich in Wahrheit nichts zu schulden kommen lassen, er dient als Beispiel, um die Technik zu erklären, deren Erfolg nun hohe Erwartungen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden weckt.

Das Innenministerium will durch automatische Gesichtserkennung, kombiniert mit dem Ausbau von Videoüberwachung, mehr Tatverdächtige ermitteln. "Derzeit arbeiten wir daran, Bild- und Videodaten nach Tatverdächtigen automatisiert auszuwerten", sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Freitag bei einer Projektbilanz im Landeskriminalamt. Hierfür werde eine innovative Software getestet, bisher müssten Beamten aus dem Material manuell Einzelbilder herausfiltern. Laut Ministerium nutzt das LKA seit 2008 zunächst als erstes Bundesland ein Gesichtserkennungssystem vom BKA. 2010 konnten dadurch zehn Tatverdächtige ermittelt werden, 2016 waren es schon 82, in den ersten zehn Monaten 2017 bereits 83.

Die Delikte identifizierter Tatverdächtiger reichten "quer durchs Strafgesetzbuch", sagte Egger: Einbruchsdiebstahl, Kapitaldelikte, darunter eine Vergewaltigung, sowie vier Fälle im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung. Typische Fälle seien Körperverletzungen im öffentlichen Raum, in Ansbach hätten Aufnahmen den Täter ermittelt, die ein Discobetreiber auf dem Parkplatz machte. Genannt wurde auch das Portal, auf dem Zeugen des Amoklaufs am Münchner Olympia-Einkaufszentrum Videos hochladen konnten. "Gesichter sind zu bedeutenden digitalen Spuren geworden", sagt der Kriminaler. Und der Abgleich mit Datenbanken sei eine "schonendere Maßnahme" als die Öffentlichkeitsfahndung nach Leuten, deren Schuld ja nicht bewiesen sei. Seine "Vision" sei es, dass die Gesichtserkennung neben der Identifizierung durch Fingerabdrücke und DNA zur "dritten Säule des Erkennungsdienstes werden".

Datenschützer kritisieren die Pläne

Möglich ist Biometrie-Fahndung auch, weil es immer mehr Bildmaterial gibt: Bürger und Gewerbetreibende rüsteten etwa aus Angst vor Einbruch mit Kameras auf, ohnehin werde durch Smartphones mehr und immer besseres privates Bildmaterial produziert, das sich später vielleicht als relevant herausstellen könnte. Zudem soll aber die Videoüberwachung unter anderem im Nahverkehr und an öffentlichen Gebäuden wie Einkaufszentren ausgebaut werden.

Mehr Aufnahmen solle es nur dort geben, wo sie für mehr Sicherheit der Bürger nötig seien. Vorbild seien demnach "nicht manche britische Innenstädte" mit Komplettüberwachung, sagte Herrmann. Datenschützer kritisierten am Freitag prompt die Pläne. Der Minister verwies dagegen auf vorgegebene Löschfristen von nur wenigen Wochen.

Entscheidend für den Erfolg sind Vergleichsgesichter. Derzeit gebe es gut fünf Millionen Fotos in der BKA-Fahndungsdatenbank. "Nur wenn der Täter bereits von der Polizei erkennungsdienstlich behandelt wurde, können Aufnahmen bei einer neuen Tat zugeordnet werden", sagte Herrmann. Er will sich für einen umfassenden Zugriff auf europaweite und internationale Datenbanken einsetzen, in denen Bilder von Straftätern, aber etwa auch illegal eingereisten Personen gespeichert sind.

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Quelle:
SZ vom 02.12.2017
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