Süddeutsche Zeitung

Kostensteigerung:Wenn Kosten für Bauprojekte aus dem Ruder laufen

Lesezeit: 4 min

Von Claudia Henzler

Man stelle sich mal eine junge Familie vor, die auf ihr erstes Eigenheim gespart hat. Die Finanzierung steht, die Pläne sind genehmigt, die Baufirmen im Anrollen - da fällt den Bauherren ein, dass sie doch ganz gerne einen Keller hätten. Also verzögert sich alles. Und als der Estrich schon trocken ist, kommen sie noch auf die Idee, dass sie ein größeres Badezimmer haben könnten, wenn sie nur eine Wand versetzen lassen. Und so wird alles teurer und dauert länger. Was für private Bauherren abwegig klingt, scheint bei öffentlichen Bauvorhaben durchaus üblich zu sein.

In diversen Leitfäden steht zu allererst die Mahnung: Erst planen, dann bauen! Auf Bundesebene hat vor einiger Zeit eine Expertenkommission im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge erarbeitet, wie Bund, Länder und Kommen ihre Kostenrahmen und Zeitpläne einhalten können. 2015 wurde dieser "Aktionsplan Großprojekte" präsentiert. Gleich am Anfang des Papiers findet sich diese Feststellung: "Bei Planungsbeginn großer Bauvorhaben werden die Bedarfsanforderungen häufig nicht ausreichend ermittelt und die Projektanforderungen nur unzureichend detailliert formuliert." Dadurch komme es oft zu teuren Änderungen.

Auch der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hält es für nötig, in einer Broschüre zum Thema Bauen diese Empfehlung auszusprechen: Richtigkeit und Vollständigkeit des Bauantrags seien "wegen seiner grundlegenden Bedeutung für die Planung und Ausführung einer Baumaßnahme unverzichtbar". Man mag sich wundern, dass da Platz für Selbstverständlichkeiten verschwendet wird. Doch der Bundesrechnungshof, so heißt es weiter, habe "wiederholt festgestellt, dass während der Planungsphase und teilweise während der Bauphase die Nutzer nachträgliche Forderungen einbrachten".

In Bayern gab es in jüngster Zeit einige Bauprojekte, bei denen der Kostenrahmen weit überschritten wurde: Gärtnerplatztheater und McGraw-Kaserne in München, Dokumentationszentrum Obersalzberg, das "Haus der Berge"; aber auch Gefängnis- und Universitätsbauten wurden teurer als geplant. Den Puls der Haushaltspolitiker im Landtag hat das derart in die Höhe getrieben, dass sie in einigen Fällen zunächst die Zustimmung verweigerten. Die Abgeordneten kritisierten dabei auch, dass Änderungen nicht mit ihnen abgesprochen wurden. Der Ausschuss sah sich wiederholt vor vollendete Tatsachen gestellt. Sogar CSU-Mitglieder ließen sich ihren Zorn deutlich anmerken.

Deshalb wollen die Finanzpolitiker der Landtags-SPD im Herbst einen Vorschlag vorlegen, wie man solche Auswüchse vermeiden kann. Der Jurist Herbert Kränzlein, der in seiner langen Amtszeit als Bürgermeister der heutigen Stadt Puchheim einige Bauprojekte verantwortet hat, ist einer der Abgeordneten, die das Papier erarbeiten. Es gehe darum, verwaltungsinterne Richtlinien zu verschärfen, sagt Kränzlein, um gängige Fehler zu vermeiden. Denn auch er kritisiert: Projekte würden oft angemeldet, bevor überhaupt die Grundlagen für eine belastbare Planung ermittelt wurden. Außerdem sei die Oberste Baubehörde seit Edmund Stoibers Verwaltungsreform personell nicht mehr ausreichend ausgestattet, die Bauverwaltung werde aber auch zu wenig kontrolliert. "Die laufen voll im Windschatten."

Hinzu kommen aus Kränzleins Sicht Abstimmungsprobleme, wenn mehrere Ministerien an einem Projekt beteiligt sind. Bisher sei es auch nicht selbstverständlich, dass eine verantwortliche Projektleitung festgelegt werde. Außerdem will der SPD-Mann, dass der Landtag früher informiert wird, wenn sich Änderungen auf 500 000 Euro oder mehr summieren.

Arbeitsgruppe soll sich mit Kostensteigerungen befassen

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat vor der Sommerpause angekündigt, dass sich eine Arbeitsgruppe aus Innen- und Finanzministerium mit den Kostensteigerungen befassen soll. Wie diese Gruppe und ihr Arbeitsauftrag aussehen soll, werde das Kabinett im Herbst entscheiden, teilt das Innenministerium dazu mit.

Aus welchen Gründen ein staatliches Bauprojekt um viele Millionen teurer werden kann, war zuletzt bei der Pinakothek der Moderne intensiv untersucht worden. Damals hatte die Regierung den Bayerischen Obersten Rechnungshof (ORH) gebeten, den Fall zu beleuchten. Der berichtete 2002, wie es zu Mehrkosten von mehr als 54 Millionen Mark kommen konnte: Der Architektenentwurf sei mit der Kostengrenze von 200 Millionen Mark nicht kompatibel gewesen. Als der Bau startete, sei die Planung nicht ausgereift gewesen, so kam es zu mehr als 50 Änderungen.

Schaut man sich die Fälle Gärtnerplatztheater oder Obersalzberg an, klingen diese Ursachen bekannt. Bei der Pinakothek kamen weitere Probleme hinzu: Die Kostenkontrolle, mit der ein Ingenieurbüro beauftragt war, funktionierte laut ORH nicht. Außerdem war der verantwortliche Mitarbeiter des Staatlichen Bauamts für das Riesenprojekt nicht freigestellt worden.

Die personelle Situation der bayerischen Bauverwaltung hat sich seitdem verschlechtert. In den vergangenen 20 Jahren wurden 3000 Stellen abgebaut. Gleichzeitig stieg das Bauvolumen. Das hat Folgen. Laut dem ORH-Bericht von 2016 werden im staatlichen Hochbau etwa 70 Prozent der Bauleistungen durch Freiberufler ausgeschrieben und abgewickelt. Die Bauverwaltung schaffe es selten, deren Arbeit zu kontrollieren.

Der Rechnungshof bemängelte 2016 außerdem, dass es zu viele nachträgliche Änderungen gebe. In den Jahren 2008 bis 2011 haben die Prüfer bei schlussgerechneten Aufträgen im Wert von 603 Millionen Euro Nachträge in Höhe von etwa 125 Millionen Euro gefunden. Im selben Zeitraum gab es bei schlussgerechneten Aufträgen im Wert von 732 Millionen Euro keine Nachträge. Wenig überrascht die Feststellung des ORH: "Über die Hälfte der Nachträge hat ihre Ursache in einer mangelhaften Grundlagenermittlung beziehungsweise einer mangelhaften Planung."

Haus der Berge Berchtesgaden

Der Haushaltsausschuss hatte das Projekt "Haus der Berge" auf 19 Millionen Euro gedeckelt. Aus dem Budget sollten Bau und Ausstattung des Informations- und Bildungszentrums in Berchtesgaden bezahlt werden. Das wurde nicht eingehalten, wie der Bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) feststellte: Bis Ende 2016 seien insgesamt 22,7 Millionen Euro ausgegeben worden, die Schlussrechnung stand da noch aus. Mehrausgaben, etwa für Parkplätze, waren auf andere Haushaltstitel verbucht worden, bemängelte der ORH, die tatsächlichen Kosten seien dadurch verschleiert worden.

Doku-Zentrum Obersalzberg

Ursprünglich war geplant, das Dokumentationszentrum auf dem Areal des ehemaligen Berghofs Adolf Hitlers zu erweitern und technisch zu überholen. Dann wurde im Architektenwettbewerb ohne Absprache mit dem Landtag ein Beitrag ausgewählt, der einen Rundgang durch die alten SS-Bunker beinhaltete. Dadurch stiegen die Kosten auf 21,6 Millionen Euro. Als Anfang April 2017 weitere Kosten (das Gebäude soll mit Sicherheitsglas ausgestattet werden) von 1,362 Millionen präsentiert wurden, reichte es dem Haushaltsausschuss. Die Planung soll überarbeitet werden.

Gärtnerplatztheater München

Einige Projekte waren zu niedrig kalkuliert, etwa der Orchesterprobensaal, andere gar nicht vorgesehen, wie ein Sicherungssystem für den Kronleuchter. Erst Ende 2016 wurde klar, dass weite Teile der Bühnentechnik ausgetauscht werden mussten. Einer Handvoll Firmen wurde im Bauverlauf gekündigt, weil sie mehr auf anderen Baustellen aktiv waren und die Arbeiten schleifen ließen. Laut Ministerium sind die Mehrkosten "im Wesentlichen auf Baupreissteigerungen sowie zusätzliche und unvorhergesehene Bauleistungen und Kosten aufgrund der verlängerten Bauzeit zurückzuführen."

Chemikum Erlangen

Die Lüftungsanlage des neuen Chemiegebäudes an der Friedrich-Alexander-Universität wurde falsch geplant. Dadurch wäre es unmöglich gewesen, mehrere Labore gleichzeitig zu benutzen. Der Fehler kam teuer und verlängerte die Bauzeit, was zu weiteren Kostensteigerungen führte. Als weitere Gründe für Mehrkosten nennt der Bund der Steuerzahler: Eine fehlerhafte Ausschreibungen, zusätzliche Nutzerwünsche wie die nachträglich geforderte Erhöhung von Sicherheitsstandards. Die Freistaat will versuchen, sich einen Teil der Mehrkosten vor Gericht zurückzuholen.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2017
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