Süddeutsche Zeitung

Passau:Glaube ja, Kirche nein danke

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Auch in der katholischen Bastion Bayern treten die Menschen reihenweise aus der Kirche aus. Aber nicht, weil sie plötzlich vom Glauben abgefallen sind.

Kommentar von Deniz Aykanat, Passau

Im vergangenen Jahr kehrten so viele Gläubige der katholischen Kirche den Rücken wie noch nie - auch in Bayern, eigentlich einer katholischen Bastion. In Metropolen wie München ist die Erosion von Glauben und Kirchenbindung ohnehin besonders hoch, seit der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens treten die Menschen reihenweise aus.

Doch auch in den Bistümern Regensburg und Passau, im viel ländlicher geprägten Ostbayern, gibt es diesen Trend. Dort, wo die Religion für viele Menschen eigentlich fest zum Leben dazugehört. Kindstaufen, Wallfahrten, Kirchweihfeste, Frauenbund - all das ist von Passau bis Tirschenreuth nicht bloß Folklore, es gehört zum Selbstverständnis der Menschen und zu ihrem Alltag.

Die bayerischen Katholiken sind nicht plötzlich vom Glauben abgefallen, aber ihre Religiosität koppelt sich immer stärker von der Institution ab. Glaube ja, Kirche nein danke. Im Bistum Regensburg häufen sich die Austritte seit Jahresbeginn derart, dass ein Austrittstelefon eingerichtet wurde, um den einen oder anderen doch noch umzustimmen.

Im Bistum Passau sieht es ähnlich aus. Anders als in Regensburg, wo bereits der Missbrauch bei den Domspatzen untersucht wurde, steht man in Passau bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle aber noch komplett am Anfang. Das Bistum hat nun ebenfalls eine Studie in Auftrag gegeben. Mindestens 3500 Akten sollen gesichtet werden, bis ins Jahr 1945 zurück. "Die Erkenntnisse werden sicher schmerzhaft sein", sagt Bischof Stefan Oster.

Die Vergangenheit zeigt, dass jeder Skandal einen teilweise steilen Anstieg bei den Austritten mit sich bringt. Die Kirche schrumpft aber auch so konstant, weil die Gläubigen nicht nur entsetzt auf die Fälle sexuellen Missbrauchs blicken, sondern sich auch nicht mehr dort zu Hause fühlen, wo Bischöfe herrschen statt zu führen, Laien und Frauen nichts zu sagen haben und Homosexuelle als minderwertig angesehen werden.

In etwa drei Jahren sind Ergebnisse der Studie zu erwarten. Oster hofft, es werde "für die ganze Kirche von Passau am Ende reinigend sein". Die Reinigung könnte womöglich aber auch darin bestehen, dass es in drei Jahren zur nächsten Austrittswelle kommt. Wenn dann überhaupt noch Mitglieder zum Austreten übrig sind.

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