Süddeutsche Zeitung

Ingolstadt:Audi bekommt einen eigenen Bahnhof

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Von Johann Osel, Ingolstadt

Ganz neu ist dieser Bahnhof, keine Zigarettenkippe liegt dort am Boden, kein Schnipselchen Papier. Vor allem aber: Es gibt noch keinen einzigen Reisenden, das lässt die Anlage bei einer Besichtigung ein wenig unheimlich wirken. Ein doppelstöckiger, roter Regionalzug rauscht hindurch, der Wind pfeift dann noch ein bisschen stärker am neuen Ingolstädter Bahnhof: der Audi-Station. Mitte Dezember allerdings, zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn, wird dieser dritte Ingolstädter Bahnhof ans Netz gehen.

Großer Bahnhof wird auch an diesem Montag gemacht: bei der feierlichen Eröffnung, Ministerpräsident Markus Söder kommt, Ex-Kanzleramtschef und Bahnvorstand Ronald Pofalla sowie Führungsleute von Audi und Gesamtbetriebsrat. Gut 15 Millionen Euro haben Freistaat, Stadt, Autobauer und Deutsche Bahn gemeinsam investiert. Die Eröffnung ist wohl auch als Signal zu sehen in Zeiten der Krise beim Autobauer: Blick in die Zukunft, trotz der Einschnitte.

Der bayerische Autokonzern wird an seinem Stammsitz künftig im Personenverkehr per Bahn erreichbar sein. Mitarbeiter, Kunden und letztlich alle Ingolstädter sollen von der Station direkt am Werk profitieren. Eine Regionalbahn von München über Ingolstadt und Treuchtlingen nach Nürnberg hält zunächst im Stundentakt bei Audi, später will man den Takt verbessern; dazu sind aber noch Baumaßnahmen im Umland nötig. Teil der Anlage ist auch ein großer Busbahnhof für die Linien der Stadt, mit acht Bussteigen und damit größer als der Knotenpunkt am Hauptbahnhof.

Laut einem "Wohnortcluster" des Konzerns sind im Einzugsgebiet der Bahnhöfe in der Region etwa 10 000 Mitarbeiter zu Hause, sie alle kämen als potenzielle Pendler in Frage. In der Anfangsphase werden 1500 Reisende täglich prognostiziert. Es gebe bereits jetzt etliche Anfragen zu einem Wechsel auf ein Jobticket inklusive Bahn, sagt ein Sprecherin. Doch ob die Audi-Mitarbeiter, die häufig in ihr Produkt verliebt sind, wirklich zahlreich das Auto stehen lassen? "Wenn man in der Rushhour mit dem Auto unterwegs ist, hat die Verliebtheit auch ihre Grenzen." Pendeln per Bahn sei aber als "zusätzliches Angebot" gedacht.

Das dürfte auch der Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU) so sehen. Dem Ruf als Autostadt macht die Situation auf den Straßen alle Ehre: Stockender Verkehr, gerade zu den Pendlerzeiten, und Überfüllung sind Alltag, die Stadt ist aus historischen Strukturen gewachsen und hat viele fixe Verkehrsadern. Wie man entlasten kann, ist ein Dauerthema im Stadtrat. Lösel lobt die "wohl einzigartige Kooperation" der vier Projektpartner, der neue und damit dritte Bahnhof der Stadt sei ein wichtiger Schritt zur Stärkung des Nahverkehrs - zumal, wenn der Takt mal besser wird. "Unser Ziel muss eine Regionalbahn auf bestehenden Schienen mit einem attraktiven Angebot sein - das wird nicht einfach, aber daran gilt es nun zu arbeiten," sagt Lösel.

Lobenswert ist laut Oberbürgermeister auch die pünktliche Fertigstellung der Anlage, genau nach Plan. Tatsächlich ging es nach Vertragsunterzeichnung 2016 sowie Spatenstich 2018 zügig voran; eine Seltenheit hierzulande. Druck machte dabei der feste Fahrplanwechsel der Bahn, bei Verzögerungen hätte man ein halbes oder sogar ganzes Jahr warten müssen. Auch der Blick auf die Landesgartenschau kam hinzu, die im April 2020 in Ingolstadt eröffnet und ebenfalls im Nordwesten der Stadt liegt. "Jeder Partner hatte ein Rieseninteresse, den Zeitplan einzuhalten", sagt Gabor Vörös, Projektleiter aufseiten von Audi. Der Bauingenieur ist seit 20 Jahren bei der Werksplanung, ein solches Projekt sei aber "eine komplett neue Sache" gewesen; zum Beispiel auch bei der Bahn die Einspeisung in die Fahrpläne, der Bahnhof sei da "wie eine Spinne im Netz" zu integrieren.

Der Haltepunkt und die Busdrehscheibe sind öffentlich. An einer Stelle führt ein Abgang ins Werk - Drehkreuz, Zugang nur mit Mitarbeiterausweis. Gleich dahinter liegen erste Montagehallen, aber auch die Technische Entwicklung ist in der Nähe. Ein zweiter Busbahnhof - hinter den Zäunen - dient ebenfalls als Drehscheibe, die Werksbusse fahren sie an. Die Gleise am Bahnhof waren alle vorhanden, ohnehin werden sie genutzt: 70 Prozent der Fabrikate verlassen das Werk über die Schiene.

Nun kommt der Start des Projekts in turbulenten Zeiten. Bis zum Jahr 2025 will die vom Dieselskandal erschütterte VW-Tochter in Deutschland 9500 Stellen streichen, jeden sechsten Arbeitsplatz. Das geschieht allerdings nicht durch Kündigungen, solche seien in den kommenden zehn Jahren ausgeschlossen, wie es nach Verhandlungen mit dem Betriebsrat hieß. Stattdessen soll die Belegschaft schrumpfen, indem frei werdende Stellen nicht ersetzt und Vorruhestandsregelungen angeboten werden.

Und dennoch keimt auch in Ingolstadt Unsicherheit auf: Wird Audi Partner und Finanzier für so viele Dinge in der Stadt bleiben, in der Kulturförderung, bei sozialen Projekten und Sportsponsoring, in der Forschung oder eben auch Infrastrukturprojekten? Lösel sieht Audi als "verlässlichen Partner", man habe "auch keinen Grund anzunehmen, dass sich dies absehbar ändern würde". Ein Beispiel sei auch der große Technologiepark auf einem früheren Raffineriegelände, das Stadt und Konzern gemeinsam erschaffen. Dadurch, dass unklar sei, "welche Technologien sich in Zukunft durchsetzen werden, versuche man sich breitestmöglich aufzustellen". Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz, Flugdrohnen - unter Lösels Ägide beteiligt sich die Stadt an vielen Projekten, oft sitzt Audi mit im Boot. Man übernehme "gesellschaftliche Verantwortung an allen Produktionsstandorten", teilt Audi mit, "das war, ist und bleibt auch künftig so". Die Bahnhofseröffnung wird diese Linie demonstrativ unterstreichen. Zur Feier am Montag gibt es einen Sonderzug aus München - Ankunft 12.31 Uhr am Audi-Halt. Vorausgesetzt natürlich: Pünktlichkeit.

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SZ vom 02.12.2019
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