Süddeutsche Zeitung

In der Villa Marteau:In lichten Tiefen

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Der Architekt Peter Haimerl baut nach seinem Konzerthaus in Blaibach nun in Lichtenberg einen unterirdischen Musiksaal

Von Olaf Przybilla, Lichtenberg

Neulich in Lichtenberg wurde vor Publikum ein Zeitungsartikel verlesen. Die Bürgerinitiative für Ulvi K. - jenen geistig beeinträchtigten Mann, der 2004 des Mordes an der neunjährigen Peggy schuldig gesprochen und zehn Jahre später freigesprochen wurde - hatte eingeladen dazu. Die Lichtenberger wollten sich wehren. Wehren gegen ein Bild, wie es exemplarisch in dem vorgetragenen Text gezeichnet ist. Da ist die Rede von einem "düsteren Tag in einem düsteren Ort"; von Gegenden auf dem Weg dorthin "mit Namen wie Torfmoorhölle"; und einer Stadt, über der eine "ebenso düstere Burg" throne. Der Zeitungstext, vom einem Stadtrat mit Kopfschütteln vorgetragen, sorgte im Saal des TSV Lichtenberg für wütendes Gelächter. Dass es auch schöne Seiten gibt in dem oberfränkischen Städtchen, mitunter gar Sonne, das würde man nach solchen Texten für kaum denkbar halten. Gibt es aber: das Haus Marteau etwa. Das ist heute schon sehenswert - und dürfte mit einem unterirdischen Konzertsaal künftig zu einem besonderen Anziehungspunkt für einen Ort mit 1000 Einwohnern werden.

"Haben Sie von dort oben mal ins Tal geschaut?", fragt Peter Haimerl. Der Münchner Architekt ist nicht nur sehr angetan von der Landschaft um Lichtenberg; er ist auch mitverantwortlich für einen Kulturort, der wie wenig andere bayerische Neubauten der vergangenen Jahre in Erstaunen versetzt hat: Dass in Blaibach im Bayerischen Wald, etwa 20 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, ein Konzerthaus hingehört und dort Erfolg haben könnte - das war vor Haimerls Entwurf eine Idee für Traumtänzer. Inzwischen gilt es schon fast als schambesetzt, wenn man es immer noch nicht dorthin geschafft hat. In Blaibach muss man gewesen sein, wenn man mitreden will in Bayern.

Nach Lichtenberg aber? Die Frage scheint auf den ersten Blick berechtigt angesichts diverser Klischeetexte, die so erscheinen über den "Ort über dem Höllental". Albern aber ist sie jetzt bereits, kommen nach Lichtenberg schon lange Kulturbeflissene - seit nämlich die Villa Marteau vor 36 Jahren zur Begegnungsstätte umgebaut wurde. Ein Projekt des Bezirks Oberfranken. Junge Musiker, viele aus Fernost, besuchen in Lichtenberg Meisterkurse vor allem bayerischer Professoren. Bis mit dem Umbau begonnen wurde, waren es bis zu 1000 Teilnehmer pro Jahr. Die kamen wohl gerade weil man dort an einem Ort üben kann mit Blick über die ehemalige deutsch-deutsche Grenze, wo bis zur Maueröffnung die Welt zu Ende zu sein schien. Und beneidenswerte Ruhe herrscht.

Nach einem Konzertsaal in einer früheren Grenzregion im Bayerischen Wald baut Haimerl jetzt also im ehemaligen Grenzland des Frankenwalds. Und es gibt noch eine Parallele zwischen Blaibach und Lichtenberg: Hier wie dort verlegt Haimerl das Hauptgeschehen unter die Erde, weshalb er sich auf BR Klassik schon vor die scherzhafte Frage gestellt sah, ob er einer Veranlagung zum "Höhlenmenschen" freien Lauf lasse. Macht Haimerl natürlich nicht. Im Gegenteil, beschwichtigt er, verkrieche er sich gar nicht gern. In Lichtenberg aber gebe es eben diese großartige Villa. Und da sei es eine naheliegende Idee gewesen, dieses Haus in seiner Schönheit als Solitär stehen zu lassen; also kein Konzerthaus daneben zu stellen, sondern nach unten auszuweichen. Zumal der preußische Spitzenbeamte Alexander von Humboldt auf seiner ersten Station als Montanforscher in Franken seinen Blick ebenfalls nach unten richtete, in den Boden von Lichtenberg.

Dorthin also, wo neben der Villa nun freilich kein klassischer Musiksaal wie in Blaibach entstehen soll, sondern eine Musikbegegnungsstätte, wo man üben, bei gelegentlichem Bedarf auch kammermusikalisch konzertieren, aber sich in erster Linie austauschen soll. Ein Saal wird es sein, der vom großen Garten zu erreichen ist, aber auch direkt von der Villa Marteau aus.

Dort, im Garten, blickt man dieser Tage in eine große weiße (und übrigens sonnenbeschienene) Baugrube, es dürften noch einige Tage ins Land ziehen, bis die Villa wieder bevölkert sein wird und der Name Marteau neu entdeckt werden kann. Wobei der Virtuose vielen Musikliebhabern jetzt bereits ein Begriff ist. 1874 geboren, hat sich Henri Marteau die Villa in Lichtenberg wohl allein mit Gagen finanziert, die ihm Tourneen einbrachten. Den Hügel in Lichtenberg, auf dem er sich eine Sommervilla bauen ließ, soll er zufällig entdeckt haben, als er einen Freund in Franken besuchte. Wobei der Ort damals viel weniger abseits lag, als man das heute denken würde. Lichtenberg, ehemaliger Herrschaftssitz, hatte einen Bahnhof und lag in etwa zwischen Dresden, Prag, Berlin und Wien, wichtigen Städten für einen Tournee-Virtuosen.

Als Marteau nach dem Ersten Weltkrieg zwischen die Fronten geriet - in Frankreich galt er als Deutscher, in Deutschland als französischer Spion -, verlor er seinen Berliner Lehrstuhl und zog aufs Land, nach Lichtenberg. Dort hatte er seine Ruhe. Die bis heute geschätzt wird; sicherlich erst recht unter der Erde.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2019
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