Süddeutsche Zeitung

Hitlers Obersalzberg:Gedenken im Bunker

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Das vor zehn Jahren eröffnete NS-Dokumentationszentrum am Obersalzberg ist erfolgreicher als gedacht - und bislang konnten braune Wallfahrten an Hitlers Ferienort verhindert werden.

Heiner Effern

Nach dem Abzug der Amerikaner vom Obersalzberg beschloss die bayerische Staatsregierung Mitte der neunziger Jahre, die künftige Nutzung des früheren NS-Areals auf zwei "Säulen" zu stellen. Die eine, das etwa 50 Millionen Euro teure Fünf-Sterne-Hotel auf dem sogenannten Göring-Hügel, sollte an den Tourismus aus der Zeit vor Hitler anschließen.

Die andere, das zwei Millionen teure NS-Dokumentationszentrum, die Geschichte des Täterorts aufarbeiten. Die unterschiedliche Ausstattung der beiden Säulen ließ Kritiker befürchten, dass das darauf fußende Konzept einer schiefen Ebene gleichen könnte, auf der die Aufarbeitung zugunsten des Tourismus hinunterfalle. Doch diese Gefahr wurde durch einen Akt der Basisdemokratie von Anfang an gebannt.

Denn zehn Jahre nach der Eröffnung haben schon mehr als 1,4 Millionen Interessierte die Dokumentation Obersalzberg besucht. Die Räume mussten 2005 massiv ausgebaut werden, weil sie den Andrang nicht mehr fassen konnten. Ganz anders sieht es beim Hotel aus. Gut 50 Prozent Auslastung verzeichnete die verantwortliche Tochter der bayerischen Landesbank, die das Hotel betreibt, in den ersten Jahren.

Das mag in der Branche als nicht ungewöhnlich gelten, doch bei den Millionen-Abschreibungen, für die letztlich der Steuerzahler aufkommt, wäre so mancher Gast mehr durchaus wünschenswert. "Das Hotel ist ein Fehlschlag, die Dokumentation ein Erfolg, der leider viel zu klein gehalten wird", sagt Sepp Dürr, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag.

Für 30.000 bis 40.000 Besucher war die Dokumentation bei der Eröffnung 1999 geplant, schon im Jahr darauf kamen allerdings 100.000. Schnell erwies sich die Ausstattung als viel zu schlecht. "Es waren einfach zu wenig Personal und Räume", sagt Dürr. Zuständig dafür ist das bayerische Finanzministerium, das die von den Amerikanern zurückgegebenen Immobilien für den Freistaat verwaltet.

Der damalige Minister Kurt Faltlhauser hat sich mit seinem "Zwei-Säulen-Modell" stets gegen eine Rückeroberung des Obersalzbergs durch Rechte stark gemacht. Er genehmigte auch den Ausbau des Zentrums, das an der Stelle von Hitlers Gästehaus steht. Für eine Million Euro wurden 2005 neue Büros und ein Seminarraum gebaut und weitere Teile des unterirdischen Bunkers zugänglich gemacht.

Vorgeworfen wird Faltlhauser von der Opposition aber bis heute, dass er den Abriss des Platterhofs, eines NS-Gästehauses, genehmigt hat. "Das Dokumentationszentrum wurde als Freibrief genommen, um andere Nazi-Bauten wegzureißen. Diese Ausradierung halten wir für die falsche Politik", sagt Dürr.

Die vom Institut für Zeitgeschichte konzipierte Ausstellung zeigt eine umfassende Zusammenschau des Gräuelregimes der Nationalsozialisten, geht aber auch auf die Bedeutung des Obersalzbergs als zweites Machtzentrum in der NS-Zeit ein. Zusätzlich werden seit einigen Jahren Sonderausstellungen angeboten.

Kein brauner Wallfahrtsort

Für die kommenden Jahre rechnet der wissenschaftliche Leiter der Dokumentation, Axel Drecoll, konstant mit mehr als 150.000 Besuchern. "Wenn das so anhält, wird man langfristig überlegen müssen, die Ausstellungsflächen zu erweitern."

Auch die Situation am Eingang sei unbefriedigend, bei Andrang müssten Besucher bis vor die Türen anstehen. Charlotte Knobloch, Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, sieht im Erfolg auch eine Verpflichtung. "Durch eine fundierte und verantwortungsvolle Aufarbeitung der Vergangenheit kann die Jugend erreicht werden, und genau darum geht es. Denn die junge Generation wird die Zukunft dieses Landes gestalten und trägt die Verantwortung dafür, dass sich das Geschehene nie mehr wiederholen wird."

Beim Thema Ausbau hält sich der jetzige Finanzminister Georg Fahrenschon allerdings bedeckt. "Für weitere Ergänzungen baulicher Art gibt es aktuell weder konkrete Planungen noch belastbares Zahlenmaterial." Insgesamt sieht er in dem Zentrum eine "Erfolgsgeschichte". Es werde "eindrucksvoll der Weg in die Katastrophe erlebbar gemacht". Die Dokumentationsstelle befinde sich auf dem Obersalzberg "genau am richtigen Ort".

Darüber wurde schon bei der Planung heftig gestritten. Als "skandalös" bezeichnete Shimon Samuels, Europa-Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums, das Konzept. Hitlers Ferienort würde zu einem Luxus-Urlaubs-Resort mit Museum verwandelt, in dem verharmlosende Kinderfotos des Diktators gezeigt würden.

Doch auch im Berchtesgadener Land stieß die Dokumentation nicht auf ungeteilte Zustimmung, allerdings aus anderen Gründen. Der damalige Landrat Martin Seidl stellte sich zwar hinter das Konzept, doch fürchtete er den Vorwurf, dass die Berchtesgadener "mit Nazi-Tourismus Geld verdienen" wollten.

Deshalb stellte er die Frage, "warum die das nicht in Berlin machen, da war Hitler genau so oft wie am Obersalzberg". Sein Nachfolger Georg Grabner hält alle Bedenken nach zehn Jahren für erledigt. "Man wollte eine braune Wallfahrt verhindern, das ist gelungen."

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SZ vom 20. Oktober 2009/odg
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