Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Von Utopien und Amouren

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Gustav Landauer wurde zu einem Vordenker der Revolution 1918 - und bezahlte mit dem Leben. Zu seinem 150. Geburtstag beleuchtet eine Biografie den Mann, an den eine Annäherung bislang schwierig war.

Von Hans Kratzer, München

Mit dem Land Bayern hat der Anarchist Gustav Landauer (1870-1919), der seit 1889 vorwiegend in Berlin lebte, lange Zeit gefremdelt. Zumindest bis zur Revolution im November 1918, in deren Verlauf ihn sein Freund Kurt Eisner nach München rief.

Bayerns erster Ministerpräsident Eisner wünschte sich von Landauer, er solle "durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen" mitwirken.

Der von der Revolution euphorisierte Landauer ließ sich nicht zweimal bitten: "Meine lieben Bayern haben's gut gemacht; sowie ich kann, fahre ich nach München. Es ist jetzt, endlich, die Zeit da, wo man mithelfen kann und muß." Die plötzliche Chance, seine sozialistischen Visionen zu verwirklichen, wollte er nicht verstreichen lassen.

Landauer, dessen Geburtstag sich an diesem Dienstag zum 150. Mal jährt, stieg in München bald zu einem Vordenker der Revolution auf. Von Erfolgen war sein Wirken nicht gekrönt. Wie viele andere linke Utopisten und Träumer scheiterte auch er. Letztlich bezahlte er seinen Versuch, die Welt besser zu machen, mit dem Leben.

Am 2. Mai 1919 wurde er von konterrevolutionären Soldaten im Gefängnis Stadelheim ermordet. Sein Leben währte damit nur wenige Monate länger als das deutsche Kaiserreich, das er bekämpfte, weil er es als Hort von Ungerechtigkeit, Willkür und sozialen Missständen betrachtete.

Bislang unveröffentlichte Briefen, ausfindig gemacht in Amsterdam

Ein klares Bild von Landauer zu zeichnen, ist schwierig. Selbst die Schilderungen von Zeitgenossen, die ihm nahestanden, lesen sich recht unterschiedlich. Der Schriftsteller Ernst Toller zählte Landauer zu den "großen Propheten des Friedens", sein Kollege Erich Mühsam schrieb dagegen, es sei nicht wahr, dass Landauer "aus lauter Liebe zusammengesetzt war".

Der Wahrheit am nächsten kommt man beim Studium seiner Tagebücher und der zahlreichen Briefe, die Landauer im Laufe seines Lebens geschrieben hat. Die Autorin Rita Steininger hat sich dieser Mühe unterzogen und aus ihren daraus gewonnenen Erkenntnissen eine Biografie gestrickt, in der Landauers Profil durchaus schärfer hervortritt, als es bisher der Fall war.

Steininger erörtert nicht nur das visionäre Weltbild Landauers, sondern erzählt von Liebschaften, Heirat und Vaterschaft, von wirtschaftlicher Not, politischer Verfolgung, Inhaftierung und dem Kampf des Pazifisten gegen den Krieg.

Steiningers Biografie bezieht ihre Kraft auch aus bisher unveröffentlichten Briefen, die sie etwa in Amsterdam ausfindig gemacht hat. Dazu kommen die Briefe, die Landauers Töchter kurz vor dessen Ermordung an ihren Vater schrieben - diese hat Steininger bei einem Ortshistoriker in Krumbach eingesehen.

Im Übrigen schöpft ihr Werk aus der 2017 von Christoph Knüppel herausgegebenen Briefedition, die umfangreicher ist als jene von Landauers Nachlassverwalter Martin Buber, die bis dato herangezogen wurde. Sie enthält die Tagebücher des Schülers Landauer ebenso wie den Briefwechsel des Studenten mit einem Schulfreund, in dem viel Persönliches zur Sprache kommt, nicht zuletzt seine komplizierten Amouren.

Der Literaturwissenschaftler Waldemar Fromm merkt im Vorwort an, der libertär-utopische Anarchismus Landauers sei zwar politisch gescheitert, er habe aber Einfluss auf die Literatur nach 1900 genommen.

Das verwundert nicht, auf die zum Träumen neigenden Künstler wirkte Landauers Entwurf eines neuen Menschen in einer noch zu schaffenden Gesellschaft wie eine Offenbarung. Landauer hing der im 19. Jahrhundert populären Ideenlehre des Anarchismus an, einer Weltanschauung, die ein freiheitliches Zusammenleben ohne staatliche Ordnung anstrebte.

In der Bevölkerung fanden solche Gedanken wenig Zuspruch. Es war mehr dem Machtvakuum nach der Ermordung Eisners geschuldet, dass Anarchisten wie Landauer und Mühsam während der ersten Münchner Räterepublik (7. bis 13. April 1919) an die Schalthebel der Macht gelangten.

Landauer wurde Volksbeauftragter für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft und Künste, schaffte gleich einmal den als reaktionär geltenden Geschichtsunterricht an Münchens Schulen ab und ordnete an, stattdessen mehr Kunst zu lehren.

Sympathien verschaffte ihm das nicht, Landauer war in der Öffentlichkeit ebenso verhasst wie Erich Mühsam und Ernst Toller. Nach wenigen Tagen beendeten die Münchner Kommunisten das Zwischenspiel der anarchistischen Intellektuellen und errichteten die zweite Räterepublik, quasi eine sowjetische Filiale, die Landauer strikt ablehnte. Er zog sich zurück.

"Der Landauer wird sofort erschossen"

Am 30. April und 1. Mai 1919 besiegten Regierungstruppen und radikale Freiwilligenverbändekorps die zusammengewürfelten Anhänger der Räterepublik, viele wurden verhaftet und ermordet. In Stadelheim befahl ein Offizier: "Der Landauer wird sofort erschossen." Laut einem Zeugen fragte Landauer noch: "Wollen Sie mich nicht verhören?"

Landauers Grab auf dem Münchner Waldfriedhof wurde 1933 von Nationalsozialisten zerstört. 1946 erwirkte Landauers Tochter ein neues Grab. So kam ihr Vater erst 27 Jahre nach seinem Tod auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in einem Doppelgrab neben Kurt Eisner zur Ruhe. Seit 2017 erinnert im Waldfriedhof ein Denkmal an Landauer.

Er mag ein realitätsferner Träumer gewesen sein. Rita Steininger erkennt trotzdem an, Landauer habe sich trotz vieler Schicksalsschläge bis zum Lebensende den Atem bewahrt, mit aller Kraft für die Freiheit des Individuums und für ein humanes Miteinander einzutreten. "In diesem unbeirrbaren Engagement kann er uns noch heute ein Vorbild sein."

Rita Steininger: Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit, Volk Verlag, 208 Seiten, mit Bildstrecke, 18 Euro.

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SZ vom 06.04.2020
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