Süddeutsche Zeitung

Grüne vor der Landtagswahl:Die Grünen sind auf Umfragewolke sieben

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Die Partei erzielt gerade traumhafte Werte, auch die Freien Wähler dürfen auf ein Rekordergebnis bei der Landtagswahl hoffen. Aber von der Schwäche der CSU profitieren nicht alle anderen Parteien.

Von Lisa Schnell

Das Werksviertel am Ostbahnhof, früher feierte halb München hier die Nächte durch, jetzt sind aus den Clubs hippe Start-ups geworden. An einem Sonntagmorgen, kurz vor der Landtagswahl, wackeln die Wände einer Konzerthalle aber wieder. Über dem Eingang laufen die Namen der Stars auf einer Digitalanzeige in Endlosschleife: Katharina Schulze, Ludwig Hartmann.

Die bayerischen Grünen feiern ihre Spitzenkandidaten wie Rockstars. Schon die Begrüßung beim kleinen Parteitag kurz vor der Bayern-Wahl geht im Jubel unter. Von draußen wehen von einem Stadtfest Sambaklänge herein. Hartmann ist kurz geneigt zu tanzen, verschiebt die Showeinlage dann aber auf den Wahlsonntag. Für den Fall, dass die Grünen wirklich Geschichte schreiben sollten in Bayern, wenn die CSU nicht umhinkommt, sie als Koalitionspartner zu erwägen.

Seit Wochen schweben die Grünen durch Bayern, getragen von 18 Prozent in den Umfragen. Kaum eine Partei profitiert so von der Schwäche der CSU wie sie. Bei fast jeder Veranstaltung finden sich frühere CSU-Anhänger, die sich jetzt den Grünen zuwenden, weil sie die Europaskepsis und der harte Ton in der Asylpolitik verschrecken. Während die CSU lange den Eindruck erweckte, Bayern werde von Flüchtlingen überrannt, führten die Grünen einen Wahlkampf der Zuversicht. Sie versuchten der CSU das Etikett der ewig Gestrigen anzuhängen. Dabei half auch, dass Bayern sich schon länger verändert hat, vielfältiger geworden ist. Trotzdem finden sich Punkte im Wahlprogramm der Grünen, mit denen ihre neuen Unterstützer fremdeln: die Gendersternchen, eine Gemeinschaftsschule, ein Abschiebestopp nach Afghanistan. Die Grünen scheinen für diese Klientel eine willkommene Frischzellenkur für die CSU zu sein.

Auch manche argumentative Schwäche fällt im derzeitigen Grünen-Hype kaum auf. Vor allem Schulze beherrscht die Kunst, Fragen wortreich nicht zu beantworten, etwa wenn sie sagen soll, wie sie mit straffällig gewordenen Asylbewerbern umgehen will. Die 33-Jährige ist Demonstrantin aus Leidenschaft und für die städtische Kernklientel der Grünen zuständig. Hemdenträger Hartmann dagegen spricht am liebsten über die schöne bayerische Landschaft, die nicht durch Gewerbegebiete verschandelt werden solle. Mit seinem Volksbegehren gegen Flächenfraß scheint es ihm gelungen zu sein, die Tür zu konservativen Wählern auf dem Land einen Spalt weit zu öffnen.

Abseits der Städte steht für enttäuschte CSU-Wähler aber vor allem die Tür einer anderen Partei offen. Auch die Freien Wähler, einst aus der CSU entstanden, erreichen mit elf Prozent Rekordwerte - zumindest in den Umfragen. Ihr Chef, Hubert Aiwanger, schielte ebenso wie die CSU gerne mal auf den rechten Rand. Dafür, dass in Bayern damit gleich zwei Parteien versuchen, Rechtskonservative zurückzugewinnen, erscheinen die Werte der AfD zwischen 10 und 14 Prozent hoch. Ihre "Merkel-muss-weg"-Strategie verfängt, bei jedem Streit der Bundesregierung bedankt sich die AfD für die Wahlkampfhilfe.

Die Politik der SPD stand nicht immer im Mittelpunkt, Kohnen auch nicht

"Berlin", so lautet dann auch die kurze Antwort, mit der sich viele in der SPD ihre mageren elf Prozent in den Umfragen erklären. Wie die CSU trifft sie die Wut all derer, die von den "etablierten Parteien" enttäuscht sind. Es ist der Spagat zwischen Regierungspartei im Bund und Oppositionsrolle in Bayern, der es den Sozialdemokraten schwer macht, sich ähnlich klar zu positionieren wie die Grünen. Dazu kommt, dass sich der Wahlkampf von SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen lange unter dem Aufmerksamkeitsradar bewegte. Kohnen bevorzugt eher die kleine Bühne. Bei ihrem Wahlkampfformat "Kohnen-Plus" redete sie mit Schauspielern und Künstlern über Gott und die Welt. Die Politik der SPD stand nicht immer im Mittelpunkt, Kohnen auch nicht. Interviewanfragen lässt sie auch mal unbeantwortet. Als drängendstes Thema sieht sie die Wohnungsnot. Zur Asylpolitik äußert sie sich meist nur auf Nachfrage. Die Journalisten vermerken dann Sätze, die sie von den Grünen kennen und an der SPD-Basis eher weniger oft hören.

Zurück zu den Grünen: Sie haben schon oft in Umfragen besser abgeschnitten als am Wahltag, trotzdem erwartet sie wohl ein historisch gutes Ergebnis. Reicht es für Gespräche mit der CSU, wird Hartmann am Sonntag vielleicht noch tanzen. Danach dürfte er sich in Verhandlungen wiederfinden, die schwieriger kaum sein könnten.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2018
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