Süddeutsche Zeitung

Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme":Sekte stellt Strafanzeige gegen Behörden

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Sechs Monate nach einer spektakulären Razzia schlagen die "Zwölf Stämme" zurück: Sie werfen der Polizei und dem Jugendamt Rechtsbruch vor. Mehrere Kinder seien ohne richterlichen Beschluss festgehalten worden.

Von Stefan Mayr

Die Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" schlägt zurück. Ein halbes Jahr, nachdem 40 Kinder aus den Wohnungen der Sekte von Jugendamt und Polizei mitgenommen wurden, haben die Eltern nun Strafanzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht. Sie werfen den Behörden Freiheitsberaubung, Nötigung, Hausfriedensbruch und Verletzung des Briefgeheimnisses vor. Nach Angaben der Familien wurden etliche Zwangsmaßnahmen ohne rechtliche Grundlage durchgeführt, deshalb fordern sie, die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes Donau-Ries zu suspendieren.

Am 5. September 2013 hatte ein großes Polizeiaufgebot die Anwesen der ultrabiblischen Glaubensgemeinschaft in Klosterzimmern (Kreis Donau-Ries) und Wörnitz (Kreis Ansbach) umstellt. Mitarbeiter des Jugendamtes brachten 40 Kinder im Alter von einem bis 17 Jahren in Kleinbussen ins Landratsamt nach Donauwörth. Zuvor hatten die Amtsgerichte den Eltern vorläufig das Sorgerecht entzogen, weil diese ihre Kinder regelmäßig mit Ruten auf das Gesäß schlagen, was rechtlich eine Misshandlung Schutzbefohlener ist.

Die Kinder wurden von Amtsärzten untersucht und auf Pflegefamilien und Kinderheime verteilt. Bei dieser Aktion hätten sich die Behörden zahlreicher Straftaten schuldig gemacht, behauptet der Dresdener Rechtsanwalt Hans-Walter Forkel. Ihm zufolge wurden mehrere Kinder für Stunden - und im Falle einer Familie sogar drei Tage lang - festgehalten, ohne dass hierfür ein richterlicher Beschluss vorgelegen habe. Zudem seien Kinder in ihren Heimen jede Nacht eingesperrt worden.

Verletzung des Brief- und des Fernmeldegeheimnisses

Als sich einige der mitgenommenen Kinder absetzten und zu ihren Eltern zurückkehrten, durchsuchten die Behörden den Gutshof in Klosterzimmern aufs Neue und nahmen die Kinder wieder mit. Hierfür lag laut Forkel allerdings keine neue "Vollstreckungsanordnung" vor, deshalb seien die Kinder "ohne Rechtsgrundlage" unter Anwendung körperlicher Gewalt in die Autos gezwungen worden. Der Anwalt wertet diese Durchsuchungs- und Mitnahme-Aktion als Hausfriedensbruch und Nötigung.

Der Vorwurf der Nötigung bezieht sich auch auf die ärztlichen Untersuchungen der Kinder: Diese mussten ihr Gesäß entblößen, weil die Behörden nach Spuren der Rutenschläge suchten. Auch hierfür fehlte laut Forkel die Rechtsgrundlage.

Nach Forkels Angaben ordnete das Jugendamt an, dass alle Briefe der Kinder und Eltern "geöffnet und gelesen" sowie alle Telefonate mitgehört werden. Für Forkel ist dies eine Verletzung des Brief- und des Fernmeldegeheimnisses. Das Landratsamt Donau-Ries bestätigte am Freitag den Eingang der Dienstaufsichtsbeschwerde, wollte diese aber nicht kommentieren.

Sechs Monate nach der Razzia ist die Situation im Fall "Zwölf Stämme" also verfahrener denn je. Von den aus Klosterzimmern und Wörnitz mitgenommenen 40 Kindern wurden elf noch am selben Tag zurückgebracht, weil sie nicht in den Landkreisen Donau-Ries und Ansbach gemeldet waren. 29 Buben und Mädchen wurden in Obhut genommen, 21 von ihnen befinden sich bis heute unter staatlicher Aufsicht.

Die anderen acht sind inzwischen wieder bei ihren Eltern im Kreis der Sekte: Sechs durften offiziell nach Hause, weil sie aufgrund ihres Alters keine Züchtigungen mehr befürchten müssen. Zwei Mädchen im Alter von elf und zwölf Jahren sind zuletzt abgehauen und halten sich auf dem Gutshof der Zwölf Stämme versteckt. Die Behörden haben bisher nichts unternommen, um sie wieder in Obhut zu nehmen.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2014
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