Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Krebspatienten sind zu oft allein mit ihrer Angst

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Vor allem außerhalb der Großstädte fühlen sich viele Betroffene orientierungslos. Dabei sind regelmäßige Arztgespräche und Untersuchungen lebenswichtig.

Von Dietrich Mittler, München

Kurt Wagenlehner hatte sich für die Zeit nach seiner Pensionierung viel vorgenommen: Er wollte seiner Frau die Länder zeigen, in denen er beruflich unterwegs war. Wegen einer Kleinigkeit ging er zum Arzt: häufiger Harndrang. Die Diagnose vor zehn Jahren war niederschmetternd: Blasenkrebs. Aber Wagenlehner ist keiner, der leicht aufgibt. Die Tumorzellen wurden ausgeschabt, der heute 75-Jährige ging danach alle drei Monate zur Krebsnachsorge. Fünf Jahre lang waren die Befunde gut, dann aber sah Wagenlehner mit eigenen Augen in der Praxis seines Urologen auf dem Monitor diesen kleinen Zapfen, der sich in seiner Blase gebildet hatte. Die Blase musste entfernt werden.

In einem ist sich Kurt Wagenlehner sicher: Die Krebsnachsorge hat ihm das Leben gerettet. Im Münchner Presseclub legte er am Dienstag dar, dass er auch jetzt regelmäßig zur Nachsorge gehe. Die besteht aus Kontrolluntersuchungen und soll sicherstellen, dass eine wiederkehrende Krebserkrankung möglichst früh erkannt und behandelt wird. Aber zur Nachsorge gehört weit mehr. Sie dient auch dazu, Beschwerden, Folgeerkrankungen und Nebenwirkungen wie etwa Zyklus-Störungen bei Frauen therapieren zu können. Haben die Patienten zudem psychische oder soziale Probleme, so kann der betreuende Arzt auch sogenannte Psychoonkologen hinzuziehen.

Doch oft wissen von Tumorerkrankungen betroffene Menschen nicht, was sie nach ihrer Krebs-OP tun sollen. "Aus der Klinik entlassen, fühlen sich viele orientierungslos und allein gelassen mit ihren Fragen", kritisieren die Bayerische Krebsgesellschaft und der Verein "Lebensmut". Angesichts von jährlich 70 000 Neuerkrankungen in Bayern ist klar, dass es hier nicht um Einzelfälle geht.

In den Großstädten ist zumindest die Infrastruktur vorhanden, die es Patienten ermöglicht, einen Nachsorge-Arzt zu finden. Auf dem Land ist das aber schwierig, wie Markus Besseler, der Geschäftsführer der Bayerischen Krebsgesellschaft, sagt: "Hier sind Patienten oft auf sich allein gestellt." Bezüglich Krebsnachsorge klaffe da eine große Lücke. Auch für die Angehörigen von Tumorpatienten müsse mehr getan werden.

Wie die Krebsnachsorge aussehen sollte, hängt immer vom "Riskoprofil" des jeweiligen Patienten ab, sagt Wolfgang Hiddemann, der Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am Klinikum der Universität München. Hiddemann, zugleich Vorsitzender des Vereins "Lebensmut", warnt indes davor, bei der Nachsorge allein auf die Apparate-Medizin zu setzen - und das nicht nur wegen möglicher Nebenwirkungen wie etwa bei Computertomografie-Untersuchungen. Mindestens ebenso wichtig sei der rege Austausch zwischen Arzt und Patient.

Menschen brauchen mehr als Apparate-Medizin

Aber da, so betont Ludwig Lutz, der Generalsekretär der Bayerischen Krebsgesellschaft, gibt es ein Problem: "Menschliche Zuwendung wird im Gesundheitsbereich immer gefordert, aber nicht gefördert." Sprich: Die Apparate-Medizin werde "vom System honoriert", nicht aber die sprechende Medizin. Dabei ist diese eminent wichtig, wie die Psychoonkologin Serap Tari auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung sagt: "Angesichts ihrer starken psychischen Belastung wissen die Patienten oft nicht, an wen sie sich nach ihrer OP wenden können. Hier sind es meist wir Psychoonkologen, die sie auf ein Nachsorgegespräch vorbereiten", sagt sie.

Auf dem Land müssen diese Aufgabe oft die Hausärzte übernehmen. "Eine ganz große Rolle der Hausärzte besteht darin, dass sie die Arztbriefe aus der Klinik für ihre Patienten übersetzen", sagt Tari. Wolfgang Hiddemann, aber auch Günter Schlimok, der Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft, sind sich darin einig, dass bezüglich Kommunikation - sei es zwischen den Ärzten, aber auch zwischen Patient und Arzt - noch viel getan werden müsse, damit eine Nachsorge erfolgreich ist.

Beide raten dazu, die onkologische Nachsorge unbedingt in die Hand von Fachärzten zu legen. "Es ist wichtig, dass der Hausarzt die Koordination übernimmt", sagt indes Dieter Geis, der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes. Natürlich gehöre zu den Aufgaben des Hausarztes auch, Patienten rechtzeitig und nachdringlich zur Nachsorge durch einen Facharzt zu bewegen. Kurt Wagenlehner spricht indes eine dritte Säule an: die Selbsthilfegruppen. "Wenn ich das überlebe", so sagte er sich vor seiner OP, "werde ich mich an die Selbsthilfegruppe Blasenkrebs in München wenden." Heute ist er ihr Leiter.

Am Samstag, 24. September, findet im Klinikum Großhadern von 9 bis 17 Uhr ein Krebs-Informationstag statt. Mehr dazu unter www.krebsinfotag-muenchen.de

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SZ vom 21.09.2016
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