Süddeutsche Zeitung

G8 und G9 in Bayern:Der heimliche Schulminister

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Auf dem Weg zurück zum neunjährigen Gymnasium kommt es jetzt vor allem auf einen Mann an: Max Schmidt, den Vorsitzenden des Philologenverbandes. Sein Konzept könnte die Weichen stellen - wenn ihm sein Harmoniebedürfnis dabei nicht in die Quere kommt.

Von Tina Baier

Ein Revolutionär ist Max Schmidt eigentlich nicht. Aber vielleicht ist der Chef des Bayerischen Philologenverbands gerade deshalb genau der richtige Mann, um in Bayern den Weg für eine Rückkehr zum neunstufigen Gymnasium (G 9) freizumachen. Die Gelegenheit ist günstig, denn erstmals seit der überstürzten Einführung des achtstufigen Gymnasiums (G 8) vor knapp zehn Jahren beginnt die Front der G-8-Verteidiger in der CSU zu bröckeln. Ministerpräsident Horst Seehofer persönlich hat erklärt, dass er sich das G-9-Konzept, an dem die Philologen mit ihrem Vorsitzenden Schmidt gerade arbeiten, sehr genau anschauen will.

Es bleibt Seehofer auch nicht viel anderes übrig. Zu groß ist die Unzufriedenheit mit dem G 8 in der Bevölkerung. Zu viele andere Bundesländer lassen das G 9 zumindest als Alternative wieder zu. Und zu gut sind die Erfolgsaussichten des G-9-Volksbegehrens der Freien Wähler. "Max, du kannst jetzt in die Geschichtsbücher eingehen als derjenige, der den Weg für die Rückkehr zum G 9 möglich gemacht hat - oder als derjenige, der diese Chance vertan hat", soll ein langjähriger Weggefährte neulich zu Schmidt gesagt haben. Der Druck, der auf dem Philologenchef lastet, muss immens sein.

Äußerlich merkt man ihm das nicht an. Schmidt wirkt ruhig und gelassen wie immer. Er ist Pragmatiker, und einen solchen braucht es, um Seehofer und der CSU das G 9 schmackhaft zu machen. Er ist ein guter Zuhörer und ein hervorragender Moderator. Das wird ihm helfen, die unterschiedlichen Strömungen in seinem Verband zu vereinen, die von denjenigen reichen, die am liebsten das alte G 9 mit seinen Grund- und Leistungskursen zurückhätten, bis zu Leuten, die lieber heute als morgen alles neu und ganz anders machen wollen.

Schmidt könnte zu viel Rücksicht nehmen

Allerdings besteht die Gefahr, dass das G-9-Konzept der Philologen unter Schmidt zu kurz greift; dass er als Vorsitzender zu viele Rücksichten nimmt, statt einen großen Befreiungsschlag zu wagen. Denn Schmidt ist ein netter Mensch, der es sich eigentlich mit niemandem verderben will. Nicht mit Mitgliedern seines Verbands, nicht mit Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), zu dem er ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, und auch nicht mit seinen zahlreichen Kontakten in die CSU, die er sich mühsam mit viel Beharrlichkeit erarbeitet hat. In der jetzigen Situation könnte das Harmoniebedürfnis des Philologenchefs jedoch hinderlich sein. Anders als Schmidt, der Mathematiker, vielleicht glaubt, gibt es für das G-8-Problem im Unterschied zu mathematischen Herausforderungen wohl keine "richtige" Lösung, mit der am Ende alle zufrieden sind.

Vielleicht hat Schmidts Freundlichkeit ihren Ursprung in seiner Kindheit. 1951 geboren, ist er als "Waldbauernbua" in einem Forsthaus mitten im Bayerischen Wald irgendwo zwischen Cham und Passau aufgewachsen. Sein Vater war Förster, seine Mutter gelernte Schneiderin. Schmidt hat keine Geschwister, dafür gehörte immer ein Dackel zur Familie. Seine ersten Jahre verbrachte er behütet mitten in der Natur. Als Schulkind ging er jeden Tag vier Kilometer durch den Wald zur Schule, in der es nur eine einzige Klasse gab, in der alle vier Jahrgangsstufen unterrichtet wurden.

Geblieben sind eine große Naturverbundenheit und eine Vorliebe für Dackel. Wer Schmidt auf dem Handy anruft, hört manchmal das Gebell seines Kurzhaardackels "Zibbel" im Hintergrund. Schmidt irritiert das nicht im Geringsten. In aller Seelenruhe erläutert er trotz des Lärms die kompliziertesten Sachverhalte. Auch stört es weder ihn noch seine Lebensgefährtin, dass gemeinsame Motorradtouren wie früher wegen des Hundes nicht mehr möglich sind. Dafür kommen Dackel und Partnerin mit, so oft es geht, wenn der Philologenchef beruflich auf Reisen ist. Im Übrigen sei der Hund extrem gut erzogen und "absolut restauranttauglich", was der Gourmet Schmidt dem Tier hoch anrechnet.

Es ist aber nicht so, dass Schmidt nicht auch austeilen könnte. Dem Präsidenten des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Klaus Wenzel, warf er einmal öffentlich vor, vom Gymnasium so viel Ahnung zu haben "wie ein Fisch vom Fahrradfahren". Wenzel hat das bis heute nicht vergessen. Und im Kultusministerium sorgte Schmidt kürzlich mit einer harschen Presseerklärung zum "Zickzack-Kurs" bei der Benotung der verpatzten Matheübung für das länderübergreifende Abitur für Irritation und Empörung. "Die jetzige Entscheidung, 14 Tage vor Notenschluss in der 12. Jahrgangsstufe die Regeln der Notenerhebung nochmals zu ändern, stärkt nicht gerade das Vertrauen in den Dienstherrn", polterte er. "Verlässlichkeit sieht anders aus!" Solche Töne war man dort von dem sonst so umgänglichen Philologenchef nicht gewohnt.

Nichtsdestotrotz ist Schmidts Draht in die Politik zurzeit extrem gut. Manche bezeichnen ihn scherzhaft schon als Ersatzkultusminister, weil Seehofer in Sachen G 9 mehr auf ihn zu hören scheint als auf die eigentlich Zuständigen im Bildungsministerium. Das war nicht immer so. Als Schmidt im November 2001 den Vorsitz des Bayerischen Philologenverbands übernahm, waren alle Türen in die Politik zu. Wenige Jahre später wurde gegen den Willen der Philologen das G 8 eingeführt. Es war eine bittere Niederlage.

Keine beleidigte Funkstille

Schmidts Verdienst ist es, dass danach nicht beleidigte Funkstille herrschte, sondern dass der Einfluss Schritt für Schritt zunahm. Schmidt machte viele Zugeständnisse, achtete aber darauf, dass er dafür auch etwas bekam, zum Beispiel zusätzliche Lehrerstellen.

In den vergangenen Jahren konnte man oft den Eindruck bekommen, der Philologenchef habe sich mit dem G 8 angefreundet. Etwa wenn er bei gemeinsamen Auftritten mit Spaenle das Flexijahr als "große Chance" lobpreiste. "Das war aber nicht so", sagt einer, der ihn gut kennt. Schmidt habe das eigentliche Ziel, die Rückkehr zum G 9, trotz aller Anpassungsbereitschaft nie aus den Augen verloren.

Jetzt ist der Philologenchef kurz davor, dieses Ziel zu erreichen. Dass es zuletzt so schnell gegangen ist, hat ihn und den ganzen Verband erst einmal überrumpelt. Als die Philologen Ende November beschlossen, ein G-9-Konzept zu erarbeiten, hat niemand damit gerechnet, dass dieses Konzept schon im Frühjahr auf dem Tisch liegen muss. Mittlerweile haben sich die Philologen von ihrem ersten Schreck erholt. Die Diskussionen über ein neues G 9 sind in vollem Gang. Allzu viel Zeit für Debatten bleibt allerdings nicht mehr.

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Quelle:
SZ vom 13.03.2014
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