Süddeutsche Zeitung

Franken:Todesfälle im Pflegeschloss: Warum wurde so lange geschwiegen?

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Ehemalige Pfleger des Seniorenheims im unterfränkischen Gleusdorf erheben massive Vorwürfe gegen die Verantwortlichen. Sie müssen aber auch ihre eigene Rolle hinterfragen.

Kommentar von Olaf Przybilla

Die Heimaufsicht kontrolliert ein Seniorenheim. Bemängelt werden Kleinigkeiten. Ansonsten: alles topp. Kurz darauf werden die Geschäftsführerin und der Pflegedienstleiter festgenommen. Der Vorwurf lautet Totschlag durch Unterlassen. Ein Bewohner soll nach einem Sturz nicht versorgt worden sein, bis er starb. Das ist so ziemlich der massivste Vorwurf, den man Pflege-Dienstleistern machen kann.

Wie geht das zusammen? Offenkundig gar nicht. Zumal die Vorwürfe ehemaliger Mitarbeiter, die nun gegen das Heim erhoben werden, kaum mehr zu überblicken sind. Es geht um Hygienemängel, das "Ruhigstellen" von Bewohnern, Vertuschung. Auch sollen anstehende Kontrollen vorab stets bekannt gewesen sein. Das muss so nicht stimmen. Aber es wäre zumindest ein Hinweis, warum es so weit kommen konnte im unterfränkischen Pflegeschloss Gleusdorf.

Mindestens zweifelhaft ist aber auch die Rolle ehemaliger Pfleger des Heims, die nun massiv in die Öffentlichkeit drängen. Seit der Festnahme der Heimleiter werden permanent neue Vorwürfe lanciert - und alles findet Gehör. Diese Mitarbeiter müssen sich die Frage stellen lassen, warum sie so lange geschwiegen haben über angeblich dramatische Vorfälle, die zum Teil mehr als zehn Jahre zurückliegen sollen. Sie seien unter Druck gesetzt worden, erklären sie. Das würde, sollte es stimmen, manches erklären. Ihr offenbar jahrelanges Schweigen rechtfertigen würde es keineswegs.

Die Staatsanwaltschaft steht in Gleusdorf vor einer großen Aufgabe. Sie wird genau hinschauen müssen, wer in diesem Fall nur Zeuge - und wer womöglich auch Beschuldigter ist. Der Fall könnte exemplarisch werden: für das Versagen staatlicher Kontrollbehörden - aber auch die falsch verstandene Berufsauffassung von Mitarbeitern, die schweigen, solange sie Teil des Systems sind.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2016
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