Süddeutsche Zeitung

Fischerei:Wasser ist zu sauber: Bodenseefischer kämpfen um Existenz

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Von Christian Rost, Wasserburg

Morgens um vier Uhr liegt Wasserburg am Bodensee im tiefsten Schlaf. Wer das Haus verlässt um diese Zeit, tritt hinaus in die Dunkelheit. Keine Straßenlaterne leuchtet, nur vorne am Hafen, wo die Seegelboote an den Bojen festgemacht sind und die Masten und Leinen im mäßigen Wellengang rhythmisch ihr Klingklang spielen, funzelt eine gelbe Laterne. Es ist feucht-kalt, ganz anders als noch am Abend zuvor, als die schwüle Hitze die Touristen schwitzen und am Ufer-Kiosk zum Aperol Spritz greifen ließ. Und ein wenig unheimlich ist es auch. Eine aus ihrer Nachtruhe gerissene Möwe verlässt, gestört vom Spaziergänger, unter Protestgeschrei ihren Schlafplatz unter dem Anlegesteg und verschwindet über dem See.

In diese Stille platzen unvermittelt Männer, die einachsige Anhänger ziehen. Es sind die Fischer von Wasserburg, die eine Stunde vor Sonnenaufgang auf ihre Kähne steigen und ihr Glück versuchen. Glück, das brauchen sie heute in diesem Beruf, wenn sie überleben wollen. Der Bodensee ist mittlerweile so sauber, dass Roland Stohr und sein Vater Peter froh sein können, wenn ihnen überhaupt noch etwas ins Netz geht. Die Fische wachsen nicht mehr.

Eine Stunde vor Sonnenaufgang steigen die Fischer in ihre Boote, bei einem Sturm warten sie eine Stunde, dann müssen sie aber wieder raus.

Ein Fischer aus Österreich hält Kurs auf Bregenz. Wo der Bodensee mehr als 25 Meter tief ist, gilt er als internationales Gewässer.

Es ist ihr "Brotfisch", den Peter und Roland Stohr an Restaurants und Touristen verkaufen. Noch an Bord werden die Felchen, geschuppt und ausgenommen. Zu Hause, im Keller der Stohrs, kommen sie in die Filetiermaschine.

Peter Stohr, der Senior, ist 77 Jahre alt, seine kurz geschnittenen Haare sind schlohweiß. Er wirkt deutlich jünger und ist ein freundlicher, zugewandter Mann. Auf angenehme Weise ist er zurückhaltend, wie sein Sohn Roland, 52, der das Fischereihandwerk vom Vater gelernt und ihn als Vorsitzender der Genossenschaft der bayerischen Bodenseefischer beerbt hat.

Seit Jahrzehnten fahren sie gemeinsam raus auf den Bodensee, montags bis donnerstags legen sie Netze aus, dienstags bis freitags wird eingeholt. Vom Wetter lassen sich die Männer nicht beeindrucken. "Bei einem Gewittersturm warten wir eine Stunde ab. Aber dann müssen wir raus. Wenn die Netze draußen sind, müssen wir sie auch reinholen", sagt Roland Stohr. Er hat 1989 die Prüfung zum Fischermeister abgelegt, sein Vater Peter fischt schon seit 58 Jahren am Bodensee.

"Felchen vom Bodensee" statt "Felchen aus dem Bodensee"

Sie jagen vor allem Felchen, die anderswo Renken heißen und der "Brotfisch" der Fischer an diesem See sind. 60 bis 70 Prozent ihres Fangs machen die Felchen aus, die sind über die Jahre aber so rar geworden, seit Phosphat in Waschmitteln verboten wurde und Kläranlagen mit chemischen Reinigungsstufen ausgestattet sind, dass die Gastronomen in den Restaurants am Ufer tricksen müssen, um die Gäste mit Fisch zu locken. Auf den Speisekarten werden "Felchen vom Bodensee" angeboten, was aber nicht bedeute, so Roland Stohr, dass diese auch "aus" dem Bodensee stammten.

Im deutlich kleineren Ammersee würden mittlerweile mehr Renken gefangen als von den 103 ansässigen Fischern Felchen im gesamten Bodenseebecken. Deshalb kaufen die örtlichen Fischhändler auch fleißig zu: am Ammersee, am Chiemsee und im Ausland. Die Bodenseefischer kämpfen gegen diese Entwicklung bislang vergebens an. Sie wollen erreichen, dass wieder mehr Nährstoffe in den See gelangen und ihre Erträge steigen. In den Neunzigerjahren zog jeder von ihnen jährlich noch neun Tonnen Fisch aus dem Wasser, mittlerweile sind es eineinhalb Tonnen.

In Hochwasserzeiten, wenn starke Regenfälle Düngemittel von den Feldern der Bauern in den See spülen, steigt der Ertrag spürbar an. Das Algenwachstum wird angeregt, die Fische haben mehr Futter und wachsen schneller. Davon profitieren allerdings auch die Kormorane. Die Vögel, die hier durchziehen und sich teils auch niedergelassen haben, fressen ein Drittel dessen, was ein Fischer pro Hektar aus dem Bodensee zieht.

Die Bezeichnung See für ein Gewässer dieses Ausmaßes ist schon etwas verniedlichend. Die erste Strecke, die die Stohrs an diesem Morgen mit ihrem schmalen Kahn, in dessen Rumpf ein Lkw-Diesel-Motor rumpelt, zu ihren Treibnetzen vor dem Schweizer Ufer zurücklegen, ist etwa 14 Kilometer lang und nur ein kleines Stück auf dem Bodensee. Den gut 16 Kilometer langen Ammersee hätten sie damit beinahe vollständig durchmessen.

In einem Irrsinnsritt geht es etwa 20 Minuten durchs Wasser, das Boot taucht in ein Meter tiefe Wellentäler ein, die Gisch spritzt. Irgendwo da draußen liegen die vier Treibnetze der Stohrs im Wasser. Roland Stohr setzt sich Kopfhörer auf und hängt sich an einem Riemen ein Gerät um den Hals, das mit einer Antenne verbunden ist. Mit dem Gerät sucht der Mann nach seinen Netzen, die mit einem Peilsender versehen sind. Kurz darauf taucht im Halbdunkel eine beflaggte Boje auf, Roland Stohr hat seine Netze gefunden. Nun beginnt ein stummes, über Jahre eingespieltes Prozedere: Während Roland Stohr von Hand die Netze aus dem Wasser zieht, achtet sein Vater auf die Lage des Bootes. Er bedient das Ruder, kuppelt die Schiffsschraube aus, damit sie nicht die Netze frisst, manövriert vorsichtig vor und zurück. Zugleich hilft er seinem Sohn bei der Ernte.

Westwind sorgt für guten Fang

Völlig unerwartet bringt der Fang einiges ein. Roland Stohr ist überrascht. An anderen Tagen fängt er nur vier Felchen, an diesem sind es mindestens acht - pro Netz. Am Ende liegt 25 Kilogramm Fisch in den Kisten, der umgehend in einer Art Waschtrommel geschuppt und bereits auf dem Boot ausgenommen und geputzt wird. Über dem Boot kreisen derweil Möwen, die auf die Fischabfälle hoffen. Aus Gründen des Umweltschutzes dürfen die Fischer die Eingeweide aber nicht mehr ins Wasser kippen. Bis zu 10 000 Euro Geldstrafe droht in diesem Fall. Aus einer Kühlbox schüttet Peter Stohr Eis über den Fang. Dann geht es zurück in Richtung bayerisches Ufer, wo die Bodennetze der Fischer liegen.

Im Bodensee-Obersee tummeln sich rund 30 Fischarten. Gefangen wird etwa die Hälfte der Arten. Neben den Felchen sind dies der Barsch, Zander, Hecht, Seesaibling, die Seeforelle, Trüsche und der Aal. Weil manche Fische wärmere und andere kühlere Wasserschichten bevorzugen, setzen die Fischer unterschiedliche Fangmethoden ein. Neben den Treibnetzen gibt es die mit Gewichten beschwerten Bodennetze in Ufernähe. Sie stehen wie Vorhänge auf dem Grund und sollen in dieser Jahreszeit den jagenden Barschen den Weg abschneiden. In Sichtweite der Lindauer Insel holen die Stohrs ihren Fang ein. Wieder sind sie überrascht vom guten Ertrag.

Es müsse am ungewöhnlichen Westwind liegen, erklärt Roland Stohr fast entschuldigend, der doch zeigen wollte, dass der See nichts mehr hergibt für die Fischer. Übers Jahr gesehen ist so ein Fang auch durchaus ungewöhnlich. Leben können die Fischer von ihrer Arbeit allein nicht mehr. Roland Stohrs Frau hat längst einen Teilzeitjob angenommen, weil der Verkauf der Fische an Urlauber und Restaurants, das Räuchern und Filetieren nicht mehr genügend einbringt. Ein Kilogramm Felchen kostet zwölf Euro, die Filets 22 Euro je Kilo. Würde wieder mehr in die Netz gehen, könnten auch die Stohrs zuversichtlicher in die Zukunft blicken.

Gewässerschutzkomission will Wasser so sauber wie möglich halten

Roland Stohr hadert nicht mit seinem Beruf, wohl aber mit den Umständen, die ihm das Leben schwer machen. Die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee verteidigt vehement die Anstrengungen, das Wasser so sauber wie möglich zu halten. Die Appelle der Fischer, die Reinigungsleistung der Kläranlagen um wenige Prozent zurückzufahren, damit die Fische wieder mehr zu fressen bekommen und wachsen, verhallen ungehört. Auch der Vorschlag, die gereinigten Abwässer aus den Kläranlagen nicht in die tiefsten Schichten des Sees einzuleiten, sondern in höhere, was den Fischen zugute käme, lehnt die Kommission ab. Sie pocht auf die Sauberkeit des Sees, der Trinkwasserqualität hat.

Die Fischer fühlen sich ausgebremst, auch von der Politik. Sie dürfen keine engermaschigen Netze nutzen und sollen sich andererseits selbst dezimieren. Fünf der 14 Wasserburger Fischer wird demnächst die Lizenz entzogen, damit die Erträge für die verbliebenen steigen. "So kann man es nicht machen", sagt Roland Stohr, der aber auch nicht jedes Mittel zum Fischfang am Bodensee nutzen will. Aquakulturen, also von Netzen umschlossene Fischzuchtanlagen im See, lehnt er ab. "Das hat mit Fischerei nichts mehr zu tun", sagt Stohr.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2017
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