Süddeutsche Zeitung

Ferien:Ein Land, das Schulschwänzer jagt, kann nur sicher sein

Lesezeit: 2 min

In Bayern haben Beamte mehrere Familien aufgegriffen, die mit ihren Kindern vorzeitig in den Urlaub aufbrachen. Haben Polizisten denn nichts Wichtigeres zu tun?

Kommentar von Martin Wittmann

Am Memminger Flughafen war die Polizei Ende vergangener Woche so entschlossen wie erfolgreich im Einsatz. Was war passiert? Abschiebung eines Illegalen? Drogenschmuggel, Elfenbeinimport, betrunkene Piloten?

Die örtliche Polizeiinspektion klärte am Sonntag in einer Pressemeldung auf, sachlich, aber mit zwischen den Zeilen schimmerndem Stolz: Am Donnerstag und am Freitag seien mehrere Familien zur Ausreisekontrolle am Airport erschienen, "um in diverse Länder zu reisen. Bei der Kontrolle der Familien stellte sich heraus, dass viele Kinder im schulpflichtigen Alter sind." Im Weiteren konnte ermittelt werden, dass die Kinder unentschuldigt vom Unterricht ferngeblieben waren. Bayernweit wurden mehr als zwanzig Eltern angezeigt. Denn in Deutschland gilt seit 1919 die allgemeine Schulpflicht, geregelt ist sie in den Schulgesetzen der Länder. Und dort steht: Wenn Eltern ihre Kinder nicht mit dem Ranzen losschicken, droht ihnen ein Bußgeld von bis zu 2500 Euro.

Um diesen Coup der Polizei richtig einzuschätzen, muss man wissen, dass in diesen Tagen unter anderem noch ein Fahrradsturz auf dem Trimm-dich-Pfad in Sontheim zu behandeln war (ein 76-Jähriger sei "auf frischen Kies" geraten und habe "die Kontrolle über sein Fahrrad verloren") sowie der Einbruchsversuch ins Sportheim des FC Bad Wörishofen ("an mehreren Fenstern des Sportheims konnten Hebelspuren festgestellt werden").

Zwei Schlussfolgerungen kann man aus dem Einsatz am Allgäu Airport ziehen. Erstens: Wo kommen wir denn hin, wenn Familien dem eigenen Nachwuchs nicht nur die Bildung versagen, sondern ihn zum Gesetzesbruch verleiten, um vorzeitig in die Ferien zu fliegen? Wenn es nach den Polizisten und dem Schulgesetz geht: Nirgendwohin, schon gleich gar nicht nach Palma oder Porto.

Zweitens: Wo kommen wir denn her, wenn die Polizei nun schon Schulschwänzer jagen muss? Offenbar aus einem recht sicheren Land, in dem das Jobprofil eines Polizisten nicht nur aus Terrorabwehr und Brennpunktlöschen besteht. Manchmal ist er auch einfach nur Ordnungshüter. Ein sicherheitspolitischer Luxus, den sich zu leisten man sich erst mal leisten können muss.

In diesen Tagen konnte man leicht einen anderen Eindruck vom Wesen der Polizeiarbeit bekommen. Wurde darüber diskutiert, war viel von steigender Überforderung, 22 Millionen Überstunden allein im vergangenen Jahr, permanentem Fahndungsdruck, fehlenden Befugnissen und Angriffen auf Leib und Leben der Beamten zu hören. Politisch ist diese Zuspitzung nachvollziehbar, zumal wenn, wie in Bayern, ein umstrittenes Polizeiaufgabengesetz auf dem Tisch liegt.

Haben Polizisten denn nichts Wichtigeres zu tun? Doch. Aber zum Glück nicht immer

Dass nun in der Woche, in der der bayerische Landtag das Gesetz verabschiedete, eine Nachricht von der Blaumacherjagd die Runde machte, hat etwas Erdendes. Jedenfalls bleibt von Gesprächen über die Meldung - neben dem Verständnis, das Familien mit schulpflichtigen Kindern für die Täter aufbringen - vor allem eine grundsätzliche Frage übrig: Haben Polizisten denn nichts Wichtigeres zu tun? Doch. Aber zum Glück nicht immer.

Es ist beruhigend, dass so eine Meldung eher amüsiert als alarmiert. Die Beamten in Memmingen mögen ein wenig überfleißig gehandelt haben. Aber die Ertappten sind ja nicht im Folterkeller gelandet, sondern schließlich doch im Urlaub. Der täte den Polizisten auch mal gut. Überstunden hätten sie genug.

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SZ vom 22.05.2018
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