Süddeutsche Zeitung

Mittelfranken:Erlangen - die französischste Stadt Bayerns

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Ohne Flüchtlinge, darf man unterstellen, wäre Erlangen heute ein Kaff. Die Einwohner wissen, wem sie den Grundstein für die Erfolgsgeschichte zu verdanken haben.

Glosse von Olaf Przybilla

Vergangener Sommer in Erlangen, eine Kneipe am Nachmittag, im Fernsehen läuft gerade Weltmeisterschaft. E-Werk heißt das Lokal, ein Klassiker in dieser von Akademikern geprägten Stadt. Man betritt den Ort in der Erwartung, dass die Sympathien dort geteilt sein dürften. Es ist dann aber so, als würde man das Spiel in Rennes oder Marseille verfolgen. Fahnen in Blau, Weiß, Rot, permanente "Allez les bleus"-Chöre. Frankreich gewinnt, gegen wen hat man vergessen. Geblieben ist nur der Eindruck einer sehr französischen Stadt.

Das Publikum kann in der Zusammensetzung Zufall gewesen sein, klar. Wahrscheinlicher aber ist es, dass da Geschichte wirkt. Man muss nicht darum streiten, ob Erlangen die französischste Stadt in Deutschland ist. Die in Bayern ist es auf jeden Fall. In Erlangen geht man in französische Kirchen, arbeitet in französischen Firmen und besucht das deutsch-französische Institut. Wundern muss das keinen: Ohne Franzosen gäbe es Erlangen in der heutigen Form gar nicht.

Es waren Hugenotten, Calvinisten aus Frankreich, die diese Stadt aufgebaut, groß gemacht und ihren Geist geprägt haben. (Und Erlangen dabei übrigens eines der kniffligsten Alltagsprobleme mitgeliefert haben: Wie nur soll man das beliebteste Haus am Platz, das Café Mengin, aussprechen? Die französische Variante klingt irgendwie bildungsbürgerlich-gespreizt, die fränkische wie eine ansteckende Krankheit. Vielleicht einfach: Schlossgartencafé.)

Ein Detail wird den Erlangern immer bewusster, in Bayern gibt es da wohl noch Nachholbedarf: Es waren Flüchtlinge, die eine der erfolgreichsten Städte des Freistaats zu dem gemacht haben, was sie ist. Glaubensflüchtlinge. Wohnungen in Erlangen sind fast so begehrt wie in München. Ohne Flüchtlinge, darf man unterstellen, wäre Erlangen heute ein Kaff.

Eine Stadt also als Erfolgsgeschichte von Flüchtlingen. Vor sechs Jahren sollte das Autobahnschild, das Erlangen als Medizin- und Unistadt rühmt, schon einmal um diesen Aspekt erweitert werden. Eine Mehrheit fand sich nicht. Seither ist viel passiert ("Asylkrise"). Die Erlanger aber wissen noch, was sie Flüchtlingen zu verdanken haben. Dass die Hugenotten bald Teil der Eigenwerbung von Erlangen werden - darauf würde man sich jetzt bereits Wetten abzuschließen trauen. Gut so.

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SZ vom 11.02.2019
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