Süddeutsche Zeitung

Erlangen:"Dieses Buch atmet viel Gestriges"

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Nach dem Verriss der Philosophischen Fakultät in Erlangen durch Gregor Schöllgen antworten prominente Wissenschaftler. Ihre Sichtweise: "Lautstärke ist kein Indikator für Wirksamkeit und Qualität."

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Was die Leibniz-Preisträgerin Heike Paul gemacht hat bei der Lektüre des Buches von Gregor Schöllgen? "Erst mal nur gelacht", sagt die hochdekorierte Amerikanistin und muss offenkundig an sich halten, nicht erneut in schallendes Gelächter auszubrechen. Der Historiker Schöllgen hat zum 275. Geburtstag der Erlanger Friedrich-Alexander-Uni (FAU) ein Buch über die Historie der Hochschule vorgelegt, das sich in entscheidenden Teilen wie ein Grobverriss zumindest einer Abteilung liest: der Philosophischen Fakultät, in der Schöllgen, 66, kürzlich noch Ordinarius war.

Ob man das Buch Abrechnung nennen soll, da ist sich Paul - die erste geisteswissenschaftliche Leibniz-Preisträgerin in der FAU-Historie - nicht sicher. Eines aber sei leider nicht zu überlesen: "Der Autor kann seine Eitelkeit und seinen gekränkten Narzissmus schwer verstecken." Was daran lustig ist? "Das ist so durchschaubar", sagt Paul.

Die Wissenschaftlerin ist eine von 198 Unterzeichnern eines offenen Briefes, mit dem Mitglieder der Universität nun auf Schöllgens Buch "Wissen in Bewegung" reagieren. Die Unterzeichner verzichten darin eigenen Angaben zufolge bewusst darauf, sich mit den zahlreichen "sachlichen Fehlern und persönlichen Diffamierungen" Schöllgens auseinanderzusetzen. Ihr Verständnis von Wissenschaft aber, das wollen sie - dem Kollegen entgegen - schon gerne festgehalten wissen.

Etwa: "Lautstärke ist kein Indikator für Wirksamkeit und Qualität. Das öffentliche Interesse ist wandelbar und lässt keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Relevanz von Forschung zu." Oder: "Einzelne Wortführer" könnten "keinesfalls beanspruchen, Forschungsrichtungen in bedeutend und unbedeutend einzuteilen und im Alleingang die ,großen' Fragen ihres Faches zu formulieren und zu beantworten." Was den Unterzeichnern auch wichtig ist: "Nicht die Zahl der Publikationen, sondern ihre Qualität ist entscheidend." Und: "Die Zeiten sind vorbei, als Forschung allein von Ordinarien, die in der Regel Männer waren, nach innen und außen vertreten wurde." Was nicht ausdrücklich dasteht, aber wohl mitgelesen werden darf: Als Schöllgen noch Ordinarius war, da war das mitunter anders.

Zu den Unterzeichnern des Briefes gehören die Sozialpsychologin Andrea Abele-Brehm, die Amerikanistin Antje Kley, der Medienethiker Christian Schicha, die Kunsthistorikerin Christina Strunck, der Germanist Dirk Niefanger, der Bildungsforscher Eckart Severing, der Islamwissenschaftler Georges Tamer, der Sinologe Michael Lackner, der Philologe Michele C. Ferrari, der Soziologe Rainer Trinczek, der Politologe Thomas Demmelhuber und die Linguistin Mechthild Habermann - allesamt Vertreter ihres Fachs mit über Bayern hinaus reichender Reputation. Unterzeichnet hat auch Peter Dabrock, Vorsitzender des deutschen Ethikrates und wohl einer der am häufigsten in der "Tagesschau" vertretenen deutschen Wissenschaftler. Er ist ebenfalls Mitglied der FAU. Aus dem Department für Geschichte, wo Schöllgen noch kürzlich ein- und ausging, haben zwei Dutzend Mitarbeiter unterzeichnet. Viel mehr gibt's dort nicht.

Dabrock wird im Buch als "intellektueller Small Talker" tituliert, eine Kollegin als "Fernsehpredigerin". In den Geisteswissenschaften dominiere das Mittelmaß, schreibt Schöllgen, man kümmere sich um Baumwollanbau in Zentralasien statt um große Themen. Ganze Fachbereiche hätten sich "in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet", fielen durch "dröhnendes Schweigen" auf. Den Vorwurf des früheren FAU-Präsidenten Karl-Dieter Grüske, Schöllgen habe ausgerechnet in einem Buch zum Uni-Geburtstag "offene Rechnungen" beglichen, hat Schöllgen auf seiner privaten Internetseite inzwischen erwidert: "Dass ich, selbst wenn es sie gäbe, zwei Jahre darauf verwenden würde, Rechnungen in Buchform zu begleichen, ist eine groteske Vorstellung."

Die Leibniz-Preisträgerin Paul wird im Buch nicht herabgewürdigt, sogar wohlwollend erwähnt, wenn auch als Beispiel für "die Konjunktur ehemaliger Orchideenfächer". Ihr ist das ziemlich gleichgültig, denn "dieses Buch atmet viel Gestriges". Es gebe da offenbar "Schwierigkeiten, Schritt zu halten mit Entwicklungen in der modernen Hochschullandschaft". Ziel der Unterzeichner sei es nun, zu zeigen, dass Schöllgen nicht für andere spreche, sondern für sich und die "eigenen gekränkten Befindlichkeiten". Und eines ist für sie so deutlich, dass es ihr fast schon öde ist: Es gehe eben auch wieder um uralte "Männlichkeitsdiskurse". Am besten also: lachen darüber.

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SZ vom 07.12.2018
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