Süddeutsche Zeitung

CSU:Seehofer will Volksentscheide auf Bundesebene - trotz Kritik

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Von Wolfgang Wittl, München

Es ist eine einfache Frage, die von diesem Dienstag an in Zigtausenden bayerischen Briefkästen landen wird: "Soll sich die CSU für die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene einsetzen?" Das will die Partei von ihren 144 000 Mitgliedern wissen, und es dürfte sich um eine arg rhetorische Frage handeln.

Erstens hat sich der enge Führungszirkel um Horst Seehofer bereits deutlich auf ein "Ja" festgelegt, zweitens klingt es immer irgendwie gut, wenn Politiker die Menschen an Entscheidungen teilhaben lassen wollen. Aber ist das auch wirklich so wünschenswert oder gar sinnvoll, wie es den Anschein hat? Das ist selbst in der CSU umstritten.

Seehofer hielt am Montag im Parteivorstand ein Plädoyer für Volksentscheide. Er verstehe überhaupt nicht, wie ein Politiker an diesem Instrument zweifeln könne. Es schaffe Vertrauen in der Bevölkerung: Dass Bürger ernst genommen werden, mitreden und gestalten können - das zähle zu den Grundlagen seiner Politik, sagte Seehofer: "Wir verdanken unsere Mandate ausnahmslos den Bürgern." Geradezu fatal sei es, den Eindruck zu erwecken, die Menschen störten beim Regieren.

Die Befugnisse für die Bevölkerung, die Seehofer sich vorstellt, reichen weit: Sogar das Grundgesetz soll künftig durch einen Volksentscheid mit Zweidrittelmehrheit geändert werden können - ausgenommen die in der Verfassung enthaltenen Ewigkeitsgarantien. Auch in wichtigen europäischen Fragen sollen die Bürger mitbestimmen, etwa wer in die EU aufgenommen werden soll. Doch insgesamt sind die Pläne der CSU noch sehr vage. Nur beim "Ob" habe er sich festgelegt, sagte Seehofer, das "Wie" sei noch völlig offen. Zum Beispiel, ob so ein Volksentscheid nur vom Bundestag angestoßen werden darf - oder wirklich aus der Bevölkerung heraus.

Söder kann sich auch einen Volksentscheid zur Flüchtlingspolitik vorstellen

Kritiker werfen Seehofer Populismus vor, sie befürchten einen Überbietungswettbewerb in direkter Demokratie. Er wolle damit nur der AfD entgegentreten. Der Widerstand aus den eigenen Reihen kommt vor allem aus Berlin. Die CSU-Abgeordneten um Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt haben nicht verhehlt, dass sie Volksentscheide im Bund ablehnen. Die repräsentative Demokratie habe gute Gründe und sie habe sich bewährt, sagen erfahrene Parlamentarier wie der Münchner Hans-Peter Uhl. Er sehe gleich mehrere Widersprüchlichkeiten, sagte Uhl, als die Pläne Anfang Juni in Berlin vorgestellt wurden.

Am Widerstand der Landesgruppe hat sich seitdem nichts geändert. Auch um diese Proteste auszuhebeln, startet Seehofer nun die erste Mitgliederbefragung in der CSU-Geschichte. Bis zum Parteitag Anfang November sollen die Ergebnisse vorliegen, dann soll der Wunsch nach bundesweiten Volksentscheiden ins CSU-Grundsatzprogramm aufgenommen werden.

Seehofer sieht im Befragen der Bürger keinen Widerspruch zur repräsentativen Demokratie, sondern eine willkommene Bereicherung. So könnten strittige Themen entschärft werden. Beim Rauchverbot in Bayern etwa habe die CSU zu keiner klaren Linie gefunden. Dann entschied die Bevölkerung - "seitdem haben wir Ruhe", sagt Seehofer. Beim Streit über eine dritte Start- und Landebahn schwebt ihm eine ähnliche Lösung vor. Dann sollen die Münchner abstimmen, wie schon 2012.

In der CDU stößt der Vorstoß aus Bayern auf Skepsis, man verweist auf den Brexit, den vom britischen Volk beschlossenen Austritt aus der EU. Für Seehofer ist das kein Argument: Man dürfe so eine Grundfrage, die Teilhabe der Bevölkerung an politischen Prozessen, nicht davon abhängig machen, ob eine Wahl oder eine Umfrage gerade mal positiv oder negativ ausgehe.

Bayerns Finanzminister Markus Söder kann sich bereits einen Volksentscheid zur Flüchtlingspolitik vorstellen. "Bei so viel Polarisierung im Land könnte das möglicherweise auch zu einer Befriedung führen." Das geht im Moment aber Seehofer zu weit. Er befürchtet, "die Polarisierung und Radikalisierung" nehme dann womöglich noch zu.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2016
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