Süddeutsche Zeitung

Hilfe in der Corona-Krise:Späte Liebe ohne Leidenschaft

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Ministerpräsident Söder hat das Hilfsprogramm für die Kulturschaffenden erweitert. Endlich. Wochenlang wurde die Kunstszene mit ihrer Not alleingelassen.

Kommentar von Susanne Hermanski

Die Zeiten in Bayern sind lang vorbei, in denen ein passionierter Organist auf dem Sessel des Kunstministers saß und auch sonst noch viele humanistisch gebildete Politiker den Landtag bevölkerten. Schwer vorstellbar, dass das damals in einer solchen Krise genauso abgelaufen wäre wie heute: Da spricht der Ministerpräsident wochenlang ausführlich über Friseure, Fußpfleger und, nicht zu vergessen, voller Empathie über die Zulieferer einer Autoindustrie, die in den vergangenen Jahren nicht eben dazu beigetragen hat, die Moral im Volke hoch zu halten.

Erst spät, ja irrational spät, kamen die Künstler an die Reihe. Da kündigte Markus Söder eine Soforthilfe für sie an. Für die soll nun, auf vielfache Kritik nachgebessert, ein Antragsformular online gehen. Viele Wochen nach Versprechen Nummer eins. Mit Vernunft hat dieses Verschieben der Kultur auf die Resterampe der Prioritäten kaum zu tun, beziffert doch Bayerns Wirtschaftsministerium selbst die Zahl der in Kunst- und Kreativwirtschaft Tätigen auf eine Viertelmillion Menschen. In der stets freundlich umworbenen Autoindustrie sind es aber auch nur 500 000 Personen.

Im Umkehrschluss lässt sich folgern: Die Kultur ist nun mal keine Herzensangelegenheit dieses Ministerpräsidenten. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass er dem ausgedünnten Bildungsbürgertum in seinem Kulturstaat nun ein bisschen Honig um den Bart schmiert. Etwa indem er den Theatergängern, die Don Carlos lieben, mehr Besonnenheit zubilligt als dem Publikum von Rockkonzerten. Aber vermutlich hat er diese Unterscheidung in E- und U-Kultur auch gar nicht so ernst gemeint. Ist er doch selbst ein begabter Unterhaltungskünstler mit sogar in Corona-Zeiten noch bestens intaktem Auto-Derbleck-System. Oder warum hätte er sonst nur eine einzige der vielen virusbedingt abgesagten Kulturveranstaltungen öffentlich so richtig betrauert? - Die Fastenpredigt auf dem Nockherberg, bei der ihm sonst wenigstens einmal im Jahr irgendein solo-selbständiger Kleinkünstler die Leviten liest.

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Quelle:
SZ vom 15.05.2020
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