Süddeutsche Zeitung

Brennerbasistunnel:Tirol baut, Bayern bremst

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Von Matthias Köpf, Mauls

Rein plattentektonisch steht Heinz Tschigg hier praktisch in Afrika. Tschigg schreit nach Kräften Dinge wie "afrikanische Platte" und "periadriatisches Lineament" in die riesige Kaverne, doch zu hören ist er nur für jemanden, der höchstens zwei Meter entfernt steht. Denn die künstliche Höhle 200 Meter unter dem kleinen Ort Mauls im südtiroler Eisacktal ist erfüllt mit Baulärm und dem Dröhnen hausgroßer Ventilatoren. Hinter Tschigg rangieren warnblinkende Lastwagen unter die Schütten eines unterirdischen Werks, das pro Stunde 120 Tonnen Beton ausstößt - Baustoff für den Brennerbasistunnel, den Italien, Österreich und die EU seit 2008 durch den von der afrikanischen und der eurasischen Platte aufgeschobenen Alpenhauptkamm treiben lassen.

Aus der Kaverne tief unter Mauls sprengen sich die Mineure gerade nach Süden Richtung Franzensfeste vor. Ein kleines Stück nördlich führen die Röhren schon durch das ziemlich zerklüftete periadriatische Lineament. Dort werden mitten im Berg gerade zwei Tunnelbohrmaschinen zusammengesetzt, die sich bald durch die eurasische Platte Richtung Innsbruck fressen werden. Eine dritte für den Erkundungsstollen ist schon unterwegs. Am 22. Mai werden hier allerlei Politiker auf einen Knopf drücken und so tun dürfen, als hätten sie die Maschinen in Gang gesetzt.

Noch weiter nördlich in Deutschland werden dagegen noch lange keine Knöpfe gedrückt werden. Bund und Bahn glaubten auch dann noch nicht an den Brennerbasistunnel, als der schon gebohrt wurde. Das Projekt aus zwei Hauptröhren, einem Erkundungsstollen und allerlei unterirdischen Verbindungen steht inzwischen bei 98 von insgesamt 230 Tunnelkilometern. Längst ist auch die Zulaufstrecke von Innsbruck durchs untere Inntal viergleisig ausgebaut, es fehlt nur noch ein kleines Stück über die Grenze. Doch in Deutschland haben erst vor einigen Jahren ernsthafte Planungen für neue Zulaufgleise begonnen.

Die Bahn hat sich inzwischen den österreichischen Planungsprozess zum Vorbild genommen und auf die Beteiligung der Gemeinden gesetzt - zunächst nur im engen Inntal, wo die meisten Menschen nahe an den beiden bestehenden Gleisen leben und sich von zwei zusätzlichen Gleisen auf einer neuen Trasse endlich Entlastung erhoffen. Ende 2016 tauchte die erste Karte mit möglichen Trassenkorridoren auf, die rund um Rosenheim mäandern. Seither fürchten sehr viele Menschen in der Region, dass die neue Trasse durch ihre Gemeinde verlaufen, ihre Wiese zerschneiden, vor ihren Fenstern vorbeiführen könnte. Bald wird sich wohl die 16. Bürgerinitiative gründen, alle zusammen haben mehrere tausend Mitglieder. 3000 Demonstranten bereiteten Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Januar in Rosenheim einen unfreundlichen Empfang. Scheuer will die Planung bis Juli zu fünf konkreten Trassenvorschlägen verdichtet haben. Auch der Ausbau mit einem dritten oder vierten Gleis neben oder unter der Bestandsstrecke soll geprüft werden - all das in der Hoffnung, dass bis zur Kommunalwahl 2020 wenigstens in einigen Gemeinden wieder Ruhe einkehrt.

Doch bisher sind sich die Bürgerinitiativen weitgehend einig, dass gar keine neue Trasse nötig ist. Sie zweifeln an Scheuers Szenarien, die bis 2050 ein starkes Wachstum des Güterverkehrs und damit die Notwendigkeit neuer Gleise vorhersagen, vorausgesetzt auch die Wirtschaft wächst weiter und der politsche Wille zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene hält an. Im österreichischen Bundesland Tirol ist dieser Wille über alle Parteien hinweg sehr ausgeprägt, der konservative Landeshauptmann Günther Platter bremst die Laster im Inntal mit immer neuen Fahrverboten und Blockabfertigungen aus, sehr zum Ärger in München und Berlin.

Torsten Gruber, bei der DB Projektleiter für den Brennernordzulauf, zeigt sich zudem überzeugt, dass die Schiene schon allein aus wirtschaftlichen Gründen Anteile dazugewinnen wird. Die Bahn werde mit dem Tunnel viel günstiger werden, weil es dann nicht mehr drei Loks brauche, um maximal 500 Meter lange Güterzüge über den Brenner zu zerren. Stattdessen werde eine einzige Lok bis zu 750 Meter lange Züge durch den Tunnel ziehen. Für Personenzüge ist die Strecke auf Tempo 230 ausgelegt, die Fahrzeit zwischen München und Verona soll um eineinhalb Stunden kürzer werden. Gruber betont auch die Chancen für den Nahverkehr: Wenn Eurocitys und Güterzüge über die Neubaustrecke führen, würden auf der Bestandsstrecke viele Kapazitäten für Regionalbahnen frei. Im Unterinntal werde mittlerweile über einen Viertelstundentakt zwischen Kufstein und Innsbruck diskutiert.

Einen solchen Viertelstundentakt soll es auch zwischen Brixen und Bozen geben, sagt Martin Ausserdorfer, der für die Provinz Bozen und die betroffenen Gemeinden das Projekt Brennerbasistunnel begleitet. Er und Heinz Tschigg von der Tunnel-Informationsstelle wollen zusammen mit DB-Mann Gruber ein weiteres Argument der Nordzulauf-Gegner entkräften: Es sei mitnichten so, dass beim Südzulauf in Italien nichts vorangehe und schon deshalb keine höheren Zugzahlen zu erwarten seien.

Allein für die Zulaufstrecken will Italien etwa fünf Milliarden Euro ausgeben

Die italienischen Staatsbahnen verfolgten weiter das Ziel, zur Eröffnung des Tunnels über vier Zulaufgleise bis Verona zu verfügen. Von Franzensfeste, wo schon die Mündungen der Hauptröhren zu sehen sind, bis Waidbruck soll es weitere Tunnels geben, im Einvernehmen mit allen Gemeinden. Weiter südlich werde vor allem noch über den genauen Streckenverlauf um die Stadt Trento und in Verona diskutiert - Teilprojekte, die sich aber schnell bauen ließen, beteuern Tschigg und Ausserdorfer. Insgesamt werde Italien für den Südzulauf rund fünf Milliarden Euro ausgeben - noch einmal halb so viel wie der ganze, von Italien, Österreich und der EU kofinanzierte Basistunnel kosten soll.

Doch auch die Rosenheimer Bürgerinitiativen haben einen Kronzeugen in Südtirol: Sepp Kusstatscher war Bürgermeister von Villanders, konservativer Landtagsabgeordneter und später Europaparlamentarier der Grünen. Er hält den Tunnel erklärtermaßen für eine Ausgeburt ewiger Wachstumsideologie und ein Projekt der "mitteleuropäischen Betonmafia" sowie - mangels Zuläufen - für "eine Kathedrale in der Wüste". DB-Mann Gruber will die Kathedrale nicht in der Wüste stehen lassen. Er hofft, dem Bundestag bis 2023 eine fertige Planung für den Nordzulauf vorlegen zu können. Stimmt das Parlament zu, könnte das Projekt bestenfalls bis 2038 gebaut sein. Durch die Kaverne unter Mauls sollen dann schon längst die Züge fahren.

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SZ vom 30.03.2019
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