Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Proteste auf der grünen Wiese

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Rund um Rosenheim demonstrieren Hunderte Menschen gegen die Bahn-Pläne für das umstrittene Milliardenprojekt Brenner-Nordzulauf.

Von Matthias Köpf, Oberaudorf

In Ostermünchen ist die grüne Wiese, über die irgendwann die Hochgeschwindigkeitszüge und der schwere Güterverkehr Richtung Österreich und Italien rollen könnten, der Fußballplatz des örtlichen Sportvereins. Am frühen Samstagabend sind es aber nicht die Eckfahnen des Fußballfelds, die da scheinbar deplatziert in einer langen Reihe im Rasen stecken. Und die Reihe setzt sich ja fort, weit über den Zaun des Sportgeländes hinaus. Mit vielen hundert roten "Mahnstäben" haben die Bürgerinitiativen gegen den Bau des Brenner-Nordzulaufs im Landkreis Rosenheim am Samstag die Trasse abgesteckt, die sich die Planer der Deutschen Bahn für zwei zusätzliche Gleise Richtung Brennerbasistunnel zurechtgelegt haben. An drei verschieden Orten trafen sich jeweils Hunderte Menschen zu Kundgebungen.

Die Mahnstäbe in Ostermünchen tragen kleine weiße Fähnchen mit dem Logo der Initiative "Brennerdialog Rosenheimer Land", dem Zusammenschluss der rund 20 lokalen Bürgerinitiativen. Auch angesichts dieses breiten, seit Jahren anhaltenden Protests haben sich Planer und Politik nach langen Vorarbeiten 2021 für eine Trasse entschieden, die zu fast zwei Dritteln unter der Erde verlaufen soll und aus diesem Grund schon nach den damaligen Schätzungen mehr als sieben Milliarden Euro kosten wird. Ist Ostermünchen nördlich von Rosenheim aber soll es eine oberirdische "Verknüpfungsstelle" geben, an der die Züge von der neuen Trasse auf die beiden bestehenden Gleise wechseln können, die durch die Stadt Rosenheim und durch die Orte im bayerischen Inntal führen.

Entlang dieser Gleise hoffen viele Menschen auf Entlastung durch das Neubauprojekt und auf neue Möglichkeiten für den Nahverkehr, wenn die vielen Güterzüge anderswo durch den Tunnels rollen. Ganz im Süden, kurz vor der Grenze bei Kiefersfelden und Kufstein, trifft alles aufeinander: Die alte und die neue Trasse ebenso wie die Hoffnung auf Entlastung und die Kritik am Neubau. Hier zwischen Flintsbach und Oberaudorf haben Mitglieder des "Bürgerforums Inntal" mit ihren Stäben gleich zwei Varianten für eine weitere viergleisige und 40 Meter breite Verknüpfungsstelle ausgesteckt, eine entlang der Autobahn und eine an den bestehenden Gleisen.

Geht es nach den Menschen hier und ihren Gemeinden, so soll auch diese Verknüpfungsstelle für viele weitere Milliarden im Berg verschwinden, was ein Gutachten für prinzipiell möglich hält, die Bahn aber als ausgeschlossen bezeichnet. Die Planer der DB wollen sich bis Ende des Jahres für eine endgültige Trasse entscheiden und ihre Planung dann samt abweichender Forderungen aus der Region dem Bund übergeben. Die Entscheidung über den tatsächlichen Bau soll voraussichtlich 2025 der Bundestag treffen.

Der hohe Tunnelanteil hat zwar vielerorts die Zahl der betroffenen Anwohner reduziert und spart Landschaft und landwirtschaftliche Flächen. Dafür kostet er viel Geld und stößt bei Bürgerinitiativen und Bund Naturschutz (BN) auch aus einem anderen Grund auf Kritik. Allein wegen des nötigen Stahls und Betons werde beim Bau so viel klimaschädliches CO₂ frei wie durch den Zugbetrieb auf der Strecke in einem ganzen Jahrhundert, sagte der Rosenheimer BN-Kreisvorsitzende Rainer Auer am Samstag in Oberaudorf.

Der Brennerbasistunnel zwischen Innsbruck und Südtirol soll nach aktuellen Stand in zehn Jahren fertig sein, der rund 60 Kilometer lange deutsche Zulauf laut Bahn-Planung im Jahr 2040. Dann aber könnte laut Auer das zentrale Argument des klimafreundlicheren Gütertransports auf der Schiene viel geringer wiegen, weil dann auch Lkw nicht mehr mit Dieselmotoren, sondern mit alternativen Antrieben unterwegs sein werden.

Während Bahn und Bund die beiden zusätzlichen Gleise weiterhin für dringend nötig erachten, weil der transalpine Güterverkehr weiter wachsen werde und spätestens mit der Fertigstellung des Basistunnels auf die Schiene gedrängt werden soll, halten der BN und die Bürgerinitiativen einen Ausbau der beiden Bestandsgleise für ausreichend. Einen Grund für die aus ihrer Sicht überzogene Planung sehen sie im Auftrag des Bundes, die Strecke auch auf Personenzüge mit bis zu 230 Stundenkilometern auszulegen.

Zur Verkürzung der Fahrzeit zwischen München und Verona könne der deutsche Abschnitt aber nur zehn Minuten beitragen, sagte am Samstag der pensionierte Planer Gerhard Müller, der bei der DB bis 2014 mit mehreren Großprojekten betraut war und sich nun gegen den Nordzulauf engagiert. Die Bürgerinitiativen bereiten nach Angaben des Brennerdialog-Vorsitzenden Lothar Thaler inzwischen Klagen vor und wollen bald über ihr weiteres Vorgehen entscheiden.

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