Süddeutsche Zeitung

Biographie von Stoiber:320 Seiten geschönte Erinnerungen

Lesezeit: 3 min

Die Memoiren von Edmund Stoiber weisen so große Lücken auf, als hätten sich die Motten vor der Drucklegung durchs Manuskript gefressen. Auch als der ehemalige Ministerpräsident sein Werk in München präsentiert, gibt er kaum etwas von sich preis. Dabei gäbe es einige interessante Anekdoten über sein Leben zu erzählen.

Sebastian Beck

Nach gut einer Stunde kommt Edmund Stoiber voll in Fahrt. Als es um Europa geht, wird seine Stimme laut und schneidend. Dann wirkt er für ein paar Momente wieder wie damals auf den Parteitagen der CSU, als er seine Zuhörer in die Schwerhörigkeit brüllte. Die Lohnstückkosten, diese Quelle allen Übels, Italien, Kohl, Prodi. Er irrt durch seine Satz-Labyrinthe, die irgendwo anfangen und nirgendwo enden, und findet dann doch noch zu einer Weisheit: "Wie geht es in Europa weiter? Es kann so oder so gehen."

Da wird ihm niemand widersprechen, schon gar nicht an diesem Abend im Münchner Literaturhaus. Zum ersten Mal stellt hier Stoiber zusammen mit dem Zeit-Herausgeber Josef Joffe seine Autobiografie "Wie sich die Welt verändert" dem breiten Publikum vor. Um es vorwegzunehmen: Stoiber hat sich nicht verändert, was seine Gegner erschrecken und seine Anhänger freuen dürfte. Die Zahl der Freunde in der CSU steigt aber wieder, seit Stoiber vor fünf Jahren in Bayern vom Hof gejagt wurde. Der frühere Ministerpräsident macht gerade eine Metamorphose zur CSU-Kultfigur durch, seitdem er eine gewisse Selbstironie als Stilmittel entdeckt hat.

Sogar sein Nachnachfolger Horst Seehofer gibt sich in seinem Grußwort als Spät-Stoiberianer zu erkennen, indem er den einstigen Widersacher in den Himmel emporhebt: Neben Strauß sei Stoiber der größte Politiker der bayerischen Nachkriegsgeschichte. Gewohnheitsmäßig streut Seehofer allerdings auch ein paar Moleküle Gift ins Lob. In seinem Buch habe Stoiber ein hohes Maß an Rücksicht auf die politisches Familien genommen: "Alles, was Du schreibst, stimmt. Nur schreibst Du auch über vieles nicht, was stimmt."

Freundlicher könnte man es kaum ausdrücken, dass Stoibers Memoiren so große Lücken aufweisen, als hätten sich die Motten vor der Drucklegung durchs Manuskript gefressen. Die Anekdoten über Strauß, Putin oder das Wolfratshauser Frühstück sind ja durchaus unterhaltsam. Aber Stoibers Karriere - und damit auch die jüngere Geschichte der CSU - wird von zwei dunklen Wolken überschattet: seiner Flucht aus Berlin im November 2005 und seinem Sturz in München 2007. Darüber schweigt sich Stoiber fast gänzlich ganz aus. Auch in seinen immerhin 320 Seiten dicken Memoiren finden sich dazu nur ein paar dürre Zeilen und Sätze wie dieser: "Ich habe keinen Grund, in Zorn oder Selbstmitleid auf das Jahr 2007 zurückzublicken."

Dafür erinnern sich bis heute etliche seiner alten CSU-Weggefährten mit Grausen an die Jahre, in denen der zunehmend autokratische Ministerpräsident die Loyalität der Partei überstrapazierte. Doch Selbstzweifel gehörten nie zu Stoibers Repertoire: "Das ist nicht gerade optimal gelaufen", schreibt er lapidar über seinen Rückzug aus Berlin, mit dem er die CSU grausam demütigte und seinen politischen Abstieg einleitete - es ist das Äußerste an Selbstkritik, das sich Stoiber zumutet. Auch im Literaturhaus will Stoiber nicht in den alten Wunden bohren: Weder der Beginn noch das Ende der politischen Karriere seien von entscheidender Bedeutung, sagt Stoiber.

Wichtig sei vielmehr die Bilanz des politischen Lebens. Deshalb räumt er in seinen Memoiren der Nacherzählung seiner Amtszeit großen Raum ein. Stellenweise liest sich das ein wenig anstrengend. Sogar seine 2007er Schlussoffensive "Zukunft Bayern 2020 - Kinder, Bildung, Arbeit", mit der Stoiber kurz vor dem Abgang noch einmal die CSU-Fraktion traktierte, darf da nicht fehlen. Gabriele Pauli dafür aber schon.

Menschen und seine Beziehung zu ihnen kommen bei Stoiber eher am Rande vor. Man würde allzu gerne eine aufrichtig empathische Seite an ihm entdecken. Doch der ewig distanzierte Stoiber kann halt nicht aus seiner Haut - auch fünf Jahre nach seinem Abgang. Jetzt erst recht, als inzwischen 71-Jähriger, will er beweisen, dass er es immer noch kann, aber vor allem, dass die CSU mit ihm an der Spitze ganz anderes dastehen würde als mit den mickrigen 47 Prozent unter Seehofer. Nach eineinviertel Stunden fangen die Zuhörer an, auf ihren Stühlen hin- und her zu rutschen. So viel von Europa wollten sie womöglich gar nicht hören. Danach folgt eine Signierstunde.

Vielleicht reicht Stoiber die wirklich interessanten Kapitel seines Lebens als Mensch und Politiker ja noch einmal nach. Sie würden locker ein zweites Buch füllen.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2012
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