Süddeutsche Zeitung

Unter Bayern:Das Geheimnis der Seen

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Wer schwimmt, muss Kälte und ein wenig Angst aushalten. Dafür eröffnen sich unter Wasser Einblicke in eine andere Welt.

Kolumne von Sebastian Beck

Schwimmen ist eine geheimnisvolle und mitunter gruselige Leidenschaft. Wer im fortgeschrittenen Alter einen Kurs im Hallenbad absolviert, der macht erst einmal einige Nahtoderfahrungen. Meistens sieht man nur den Boden des Beckens oder die haarigen Haxen des Trainers, wenn man panisch nach Luft ringt und doch bloß Chlorwasser schluckt. Dann motzt er schon wieder, dass man den Kopf runternehmen soll. Aber der Mensch ist schließlich kein Blauwal, der durch den Rücken atmet und bloß jede Stunde mal auftaucht, um sich fotografieren zu lassen.

Irgendwann kommt der Moment, da steht der Novize im Frühjahr am Ufer eines Sees, um endlich in die echte Wasserwelt einzutauchen. Die ist und bleibt unheimlich, es gilt jedes Mal diesen Widerstand zu überwinden. Der Schriftsteller John von Düffel, ein passionierter Schwimmer, schrieb über sein Verhältnis zum Wasser, dass bei aller Vertrautheit mit dem Element bei ihm auch nach Jahrzehnten ein Rest Scheu und Angst geblieben sei. Wer Kraul schwimmt, blickt die meiste Zeit in die grundlose Tiefe hinab. In Moorseen endet die Sicht schon nach einem Meter. Die Hände tauchen wie Speere ins Wasser und verschwinden in der Finsternis. Manchmal bekommen sie dabei unerwartet Dinge zu fassen. Der Bayersoiener See zum Beispiel ist ein ausgesprochener Finsterling und flach noch dazu. Da kann es passieren, dass die Finger weit weg vom Ufer in Wasserpflanzen greifen, die sich vom Grund dem Schwimmer entgegen strecken. Wasser ist eben nicht gleich Wasser. Der Große Ostersee leuchtet an Sommertagen wie eine tropische Lagune, und genau in der Mitte wartet eine Untiefe auf den Schwimmer zur Rast. Der Gardasee ist ein gefährlicher Schuft mit seinem Wind, den hohen Wellen und den Strömungen, die aus der Tiefe eisiges Wasser an die Oberfläche drücken.

An Fronleichnam wird sich der Schwimmer wieder in seinen Lieblingssee südlich von München stürzen - nachdem er abermals diesen kleinen Widerstand überwunden hat. Dafür wird er belohnt. Denn wer diesen See durchschwimmt, der kommt sich vor wie im Aquarium, inmitten der fremden Unterwasserwelt mit all ihrem Getier und Grünzeugs. Wo er liegt? Wird hier leider nicht verraten.

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