Süddeutsche Zeitung

Bildung in der Pandemie:Führt Omikron die Präsenzpflicht ad absurdum?

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Wegen der ansteckenden Virusvariante sind immer mehr bayerische Schüler in Quarantäne - zuletzt waren es 84 000. Ein "Dilemma", heißt es, und: "So, wie es gerade ist, kann es nicht bleiben".

Von Viktoria Spinrad, München

In der Nordschule in Kempten ist Omikron noch nicht angekommen. Zumindest nicht in Zahlen. Nur drei der etwa 300 Schüler sind derzeit in Quarantäne und kein einziger Lehrer. "Vor Corona hatten wir mehr kranke Lehrer", erzählt Schulleiterin Iris Bergmann; die Hygieneregeln führen auch zu weniger Erkältungen. Allerdings hätten sie auch den Luxus von Lüftern und großen Räumen. Der Altbau der Grundschule biete genug Platz, um die 1,50 Meter Abstand einzuhalten.

Anderswo sieht es anders aus. Da sitzen teils ganze Klassen in Quarantäne, die Schulleiter wissen nicht mehr, ob sie auf die offizielle Ansage des Gesundheitsamts warten oder ihre Schützlinge gleich nach Hause schicken sollen. Mehr als fünf Prozent der bayerischen Schüler waren Erhebungen des Kultusministeriums zufolge wegen einer Infektion oder eines Kontakts am Freitag in Quarantäne - das sind mehr als 84 000 Schüler.

Diese Kinder laden sich Arbeitsblätter runter oder lassen sie sich nach Hause bringen. Manche verbringen den Nachmittag mit einem Call mit dem Klassenlehrer, andere nicht. Manche versuchen, den Stoff irgendwie nachzuholen - andere eben nicht. Die wenigsten Schüler in Quarantäne verfolgen den Unterricht im Stream, denn die wenigsten Schulen sind entsprechend technisch ausgerüstet.

Allerdings dauert es derzeit immer länger bis überhaupt jemand nach Hause geschickt wird. Denn eigentlich ordnen die Gesundheitsämter die Quarantäne an. Das hat Kultusminister Michael Piazolo (FW) zuletzt wieder bekräftigt. In der Praxis alleridngs ist die Isolationszeit nicht selten schon wieder rum, bis überhaupt ein Schreiben des Gesundheitsamts eintrudelt. Es komme vor, dass der potenziell infizierte Sitznachbar eines positiv getesteten Schülers weiter im Unterricht sitze, schildert Marlena Thiel vom Landesschülerrat (LSR). "So, wie es gerade ist, kann es nicht bleiben", sagt sie.

Ein Satz, den Andreas Fischer wohl unterschreiben würde. Wie jeder Grund- und Förderschulleiter muss der Rektor der Grundschule Landau an der Isar jeden Abend die Ergebnisse der PCR-Pooltests checken, die am Morgen gemacht wurden. Ab 20 Uhr sollen diese eintreffen, sind sie noch nicht da, muss er eben bis 23 Uhr wach bleiben. Ist ein Pool positiv, muss er nachschauen, welche einzelnen Schüler positiv getestet wurden. Über die zusätzliche Arbeit mag er sich gar nicht beschweren. "Alle haben ihren Beitrag zu leisten", sagt er. Allerdings weiß er auch, wie die Quarantäne-Realität ausschaut. "Wir müssen hier vor Ort schnelle Entscheidungen treffen", sagt er.

Das bekräftigt die Präsidentin des bayerischen Lehrerverbands (BLLV), Simone Fleischmann. "Der mutige Schulleiter muss selber entscheiden, was er macht", sagt sie. Es gebe Gesundheitsämter, die ihre Schulen bäten, weiterhin selber Schüler nach Hause zu schicken, weil sie nicht mehr hinterherkämen. Das dürften die Schulleiter streng genommen aber gar nicht. Diese würden "im Dilemma alleingelassen", moniert Fleischmann.

Angesichts des Chaos und der hohen Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen hoffen viele Eltern auf eine Aufhebung der Präsenzpflicht. Diese hatte das Kultusministerium erst im Oktober wieder eingeführt, als immer mehr alternative Schulen bekannt wurden, in denen Kinder illegal unterrichtet wurden. Entsprechend groß ist die Sorge, solche Parallelstrukturen zu fördern, sollte man wie in anderen Bundesländern dem Druck mancher Eltern nachgeben. Das Kultusministerium verweist darauf, dass Schulen mit den regelmäßigen Testungen zu den " am besten geschützten Orten" zählten und dass es auch um die soziale und emotionale Gesundheit der Schüler gehe.

Ganz so kategorisch sehen es andere nicht. Der BLLV setzt auf regionale Lösungen, genau wie die Grünen. Sie plädieren für mehr begründete Ausnahmefälle, zum Beispiel auch bei psychischen Krankheiten. Eine generelle Aufhebung der Präsenzpflicht sei aber nicht zielführend. "Wir müssen schon diejenigen im Blick haben, die sich jeglicher Kontrolle entziehen wollen", sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel.

Mehr Differenzierung wünschen sich auch die Schülervertreter. Ja, der Präsenzunterricht sei wichtig, sagt Marlena Thiel. Man sollte aber angesichts der Lage nichts ausschließen. Der Landesschülerrat forderte am Freitag bessere Teilhabemöglichkeiten für Quarantäne-Schüler, eine FFP2-Maskenpflicht mindestens ab der Jahrgangsstufe 10 sowie eine Ausweitung der PCR-Pool-Tests auf alle Jahrgangsstufen. Das ist aber angesichts der Überlastung der Labore unwahrscheinlich. Die sind gerade damit beschäftigt, die Voraussetzungen für die PCR-Testungen der fünften und sechsten Klassen zu schaffen. Diese sollen im März starten.

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