Süddeutsche Zeitung

Regeln für Polizei:Entschärft, aber weiter umstritten

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Das Polizeiaufgabengesetz hat vor drei Jahren viel Protest ausgelöst - den löst auch die jetzige Novelle nicht einfach auf.

Von Johann Osel, München

Es war das wohl umstrittenste Gesetz im vergangenen Jahrzehnt: das Polizeiaufgabengesetz (PAG) in Bayern. Zehntausende hatten sich im Frühjahr 2018 landesweit an Protesten gegen das Gesetz beteiligt. Sie wähnten, dass durch das PAG und neue Befugnisse der Polizei die Freiheit der Bürger beschränkt werde - vor allem durch den Begriff der "drohenden Gefahr" und Regeln zu einem präventiven Gewahrsam.

Es schien eine heikle Phase für die damals frisch angetretene, erste Regierung von Markus Söder aufzuziehen: Der Ministerpräsident und seine CSU hatten sich - mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst und Furcht vor einem Erfolg der AfD - auch in der Migrationspolitik schärfer positioniert. Aus den Bewegungen "No PAG" und "Ausgehetzt" entstand eine brisante Melange. Schnell erkannte Söder, dass er an das Gesetz noch mal ran muss, und berief eine Kommission. Deren Arbeit soll jetzt konkret Gesetz werden.

An diesem Mittwoch bringen die Regierungsfraktionen eine PAG-Reform in erster Lesung in den Landtag ein. Als "entschärftes und dennoch schlagkräftiges Gesetz", wie es heißt. Mancher Frust hat sich gelegt, Kritik aber bleibt trotzdem. Am Ende werden Gerichte darüber entscheiden müssen, da mehrere Klagen dazu laufen.

Die Kommission bestätigte die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes im Grundsatz - sie bot allerdings ein Bündel an Änderungsvorschlägen auf. Den Vorsitz führte Karl Huber, ehemaliger Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, ihr gehörten etwa der Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri sowie Professoren an. Auf Basis dieser Ergebnisse haben CSU und Freie Wähler ihren Entwurf erarbeitet und im Dezember erstmals präsentiert.

Mit der Novelle werde man "die Bürgerrechte stärken" und setze auf "noch mehr Transparenz", sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Gleichzeitig sei sichergestellt, dass die Polizei weiterhin "hocheffektiv eingreifen" könne, um die Bürger vor Gefahren zu schützen. Kernpunkte der Reform: Die Dauer des Präventivgewahrsams wird auf maximal einen Monat verkürzt, kann dann erneut ein Mal verlängert werden; bei längerem Gewahrsam wird ein Anwalt von Amts wegen beigeordnet. Bei der Vorbeugehaft im gültigen Gesetz fehlen Rechte, die konkret Tatverdächtige oder Angeklagte automatisch haben. Daten aus dem Ministerium zeigen, dass die Maßnahme bisher in einigen Dutzend Fällen angewendet wurde. In der Regel bei Personen, die eine Gefahr für Leib und Leben darstellten. Ein Beispiel: Ein Mann kündigte an, im Fall der Ablehnung seines Asylantrages seine Familie zu töten. Exakte Zahlen fehlen, das Ministerium verfügt über keine automatische Erfassung.

An vielen Stellen des PAG wird ein Richtervorbehalt eingebaut - etwa bei gewissen DNA-Analysen oder beim Einsatz von "Bodycams" in Wohnungen. Der Begriff der drohenden Gefahr, bei der die Polizei quasi schon mit vollem Programm handeln darf und die eine Herabsetzung der Eingriffsschwelle darstellt, wird präziser definiert. Sie gilt nur noch, kurz gesagt, bei Gefahr für Leib und Leben. Im Regelfall ist die "konkrete Gefahr" Anlass von Einsätzen: also konkrete Tatsachen, die befürchten lassen, dass "ein geschütztes Rechtsgut zu Schaden kommt". Eine "Spielwiese für Juristen", gab angesichts der Formulierungen FW-Fraktionschef Florian Streibl bei der Präsentation des Entwurfs 2020 zu.

Der Richtervorbehalt, der in der Novelle so häufig auftaucht, gilt auch für das Gesetz selbst. Das Bündnis "No PAG" teilte mit, es halte an seiner Klage beim Bundesverfassungsgericht fest. "Unverhältnismäßige und weit ins Gefahrenvorfeld reichende Befugnisse" blieben bestehen. Die SPD-Fraktion klagt ebenfalls in Karlsruhe und hält eine Normenkontrollklage am Verfassungsgerichtshof aufrecht. SPD-Fraktionschef Horst Arnold sieht die Novelle als "Kosmetik", ein "verfehlter Begriff wie jener der drohenden Gefahr werde nicht besser, wenn man ihn einfach neu definiert". Auch eine Klage der Grünen ist nicht vom Tisch. Fraktionschefin Katharina Schulze sagt: "Die Entschärfungen sind leider nicht der Einsicht der Staatsregierung geschuldet, sondern auf konstante Kritik durch uns, Kommission und Zivilgesellschaft zurückzuführen." Es bleibe "der Webfehler des Gesetzes": die niedrige Eingriffsschwelle, die drohende Gefahr. Die CSU könne nun im Gesetzgebungsverfahren gerne "konstruktive Kritik" aufnehmen.

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SZ vom 24.02.2021
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